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Interview beim internationalen Frauenfrühstück mit Fevziye Aktas

„Als ich hierher kam, habe ich erstmals Tapeten gesehen. Mit Mustern. Das fand ich sehr schön“, schwärmt Fevziye Aktas. In der Türkei waren die Wände nur mit billiger Farbe gestrichen. Doch nicht alles stellte sich in Deutschland als besser heraus. Marie, Nahid, Sara aus der Klasse 7a des Geschwister-Scholl-Gymnasiums trafen sie am Donnerstag, 29. Mai 2008. Übersetzt hat Eda Horuz das Gespräch. Treffpunkt war der Türkische Arbeiter- und Studentenverein, Hafenstr. 6, in Münster.

Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben. Würden Sie uns bitte zunächst erzählen, woher Sie aus der Türkei stammen?
Ich stamme aus der Stadt Bayburt im Nordosten Anatoliens.

Wann und warum sind Sie nach Deutschland gekommen?
Am 20. Dezember 1972. Mein Ehegatte ist bereits hier gewesen. Er ist als Arbeiter im August 1968 nach Münster gereist.

Waren Sie mit Ihrer Arbeit zufrieden?
Ich war hier — wie in der Türkei — schon Hausfrau. Mein Mann hat als Betongießer bei der Firma Peter Büscher gearbeitet, hinter der Halle Münsterland. 1977 ist er dann zu Pebüso gewechselt, der Firma von Peter Büchers Bruder, da dessen Firma wegen der Kanalumbauten geschlossen wurde. 1987 ist mein Mann gestorben.

Sind Sie zwischendurch noch einmal in die Türkei gegangen?
Ja, auf jeden Fall. In den Ferien für jeweils drei bis vier Wochen. Nach dem Tod meines Mannes bin ich zunächst im Sommer hier geblieben. Seit meine Kinder groß sind, fliege ich für vier, fünf Monate im Sommer in die Türkei.

Fühlen Sie sich wohl in Münster?
Ich wünschte, es hätte sich anders entwickelt. Ich hatte es ganz anders erwartet. Ich wollte nur ein paar Jahre hier arbeiten und dann zurückkehren.

Marie, Nahid und Sara (v.l.) bei der Recherche im Stadtarchiv (Foto: Christiane Schräder) Frau Aktas, haben Sie sich in Deutschland einsam gefühlt?
Erst habe ich niemanden gekannt und dann auch noch ein traumatisches Erlebnis gehabt. Ich hatte ein zehn Monate altes Kind. Mein Ehemann musste immer den ganzen Tag arbeiten. Oft auch abends, sodass ich schon Angst hatte. Außerdem gab es einen Nachbarn, der unter uns gewohnt hat und der sich immer über unser Kind beschwert hat. Einmal ist er in der Nacht an die Haustür gekommen, sodass ich mich sehr erschreckt habe. Ich war zu dem Zeitpunkt schwanger. Mein Ehemann hat gemeint, dass ich das Kind besser in der Türkei zur Welt bringen sollte. Dort war ich dann auch für fünf Monate, doch das Kind hat leider nicht mehr gelebt.

Frau Aktas, wie haben Sie die Wohnungssituation in Münster vorgefunden?
Mein Mann hat zunächst in einem Wohnheim gewohnt. Doch er hat schnell eine Wohnung bei der Wohn+Stadtbau erhalten. Die Wohnung fand ich zunächst sehr schön. Es kam mir vor wie ein Schloss. Aber jetzt zu den Details: Es gab einen Nachbarn, der uns den Zugang zum Waschraum für mehrere Monate verwehrt hat. So mussten wir in einer großen Schüssel waschen und das Wasser dafür auf dem Herd warm machen. Aber wir hatten eine eigene Toilette, die allerdings so klein war, dass wir uns reinquetschen mussten. Es waren schwierige Verhältnisse. Trotzdem fand ich die Wohnung sehr schön, weil ich in der Türkei aus einem kleinen Dorf stamme. Dort lebt eine große Familie in einem Raum.

Die Wohnung hatte zwar Defizite, aber wenn ich das vergleichen sollte: In meiner alten Wohnung in der Türkei sind die Wände immer nur mit billiger Farbe gestrichen gewesen. Als ich hierher kam, habe ich erstmals Tapeten gesehen. Mit Mustern. Das fand ich sehr schön. Weil es immer neue Muster gab. Das war etwas ganz Neues.

Wie waren Ihre Nachbarn?
Es gab drei Menschen in der Nachbarschaft, die fremdenfeindlich waren. Alle anderen waren aber ganz nett. Unter anderem eine Dame. Sie hat den Kindern, wenn sie sie draußen gesehen hat, immer Süßigkeiten und Kekse zugeworfen. Ich habe das mitbekommen und mich immer sehr über diese Geste gefreut. Es gibt halt solche und solche Menschen. Ein anderes Beispiel: Ich stand mit meinem Kleinkind auf dem Arm immer am Fenster, um die Zeit zu vertreiben. Wir hatten keinen Fernseher, aber genau gegenüber wohnte die Dame, die ihr Fenster aufgemacht hat und ihren Fernseher so nah ans Fenster rückte, dass ich mitgucken konnte. Sie hat auch Handzeichen zur Verständigung gemacht. Wir haben auch immer gemeinsam auf meinen Mann gewartet und die Nachbarin rief dann: „Ah, da kommt der Papa!“ Sie war immer hilfsbereit. Zu jeder Zeit.

Andere Nachbarn haben sich immer wieder nach unseren Verhältnissen erkundigt. Was kocht Ihr? Was esst Ihr? Habt Ihr noch etwas zu essen? Einige Nachbarn haben mich entlastet und das Treppenhaus geputzt. Doch der andere Nachbar, der unter uns wohnte, war damit nicht einverstanden. Er hat sich dadurch gestört gefühlt, dass mein kleines Kind beim Treppensteigen die Wände angefasst hat. Ich sollte dort immer putzen.

Wie sind Sie zum Frauenfrühstück gekommen? Gibt es andere Organisationen, die sie aufsuchen?
Jeden Freitag und Montag gehe ich nach Möglichkeit zum gemeinsamen Frühstück nach Berg Fidel. Zurzeit jedoch nicht, da ich nicht ganz gesund bin. Auf das Frauenfrühstück bin ich durch Frau Yavuz aufmerksam gemacht geworden. Auf dem Weg von der LVA nach Hause hat sie mich an der Bushaltestelle angesprochen und mir angeboten, mich bei Problemen an sie zu wenden. Das war 1997.

Haben Sie auch deutsche Freunde?
Ich begegne Deutschen, doch den direkten Dialog gibt es nicht. Ich würde mir nähere Verbindungen wünschen. Aber ich kann nicht so gut Deutsch sprechen. Ich hätte gern einen Kurs besucht. Aber das gab es so noch nicht als ich nach Deutschland kam. Mein Mann hat wohl über die Firma zwei Stunden nach der Arbeit immer einen Deutschkurs besucht. Heute habe ich gesundheitliche Probleme. Mein Mann hat alle Behördengänge geregelt. Er ist sogar zum Arzt mitgekommen, hat sich dann dafür frei genommen. Später hat mein Schwager den Papierkram erledigt. Ich wusste nicht einmal, dass es Kindergärten gibt. Meine Kinder hatten später in der Schule Probleme.

Würden Sie heute wieder nach Deutschland kommen, wenn Sie wieder vor der Entscheidung stünden?
Mein Sohn ist auf eine Förderschule gegangen, zur Sprachförderung. In Hinblick darauf hätte ich mir gewünscht, dass die Kinder in der Türkei zur Schule gegangen wären. Meine Kinder waren acht und 13 Jahre alt, als ihr Vater starb. Hier war es einsam. In der Türkei ist man mit der Familie nie allein. Manchmal denke ich, es wäre einfacher gewesen, hätte ich in Münster dort gewohnt, wo auch die anderen Landsleute gewohnt haben.

Was fehlt Ihnen hier?
Gerade zu den Bräuchen und Festen vermisse ich die Türkei. Vor allem Ramadan wird ganz anders in der Heimat gefeiert. Ich kann nicht zu den Gräbern meiner Familie. Und die Jüngeren küssen den Älteren hier nicht die Hand.

Nochmals vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben.

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