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Dezernat für die Koordinierung von Migration und interkulturellen Angelegenheiten (MIA)

Eine Stadt — 140 Nationen

Jochen Köhnke im Gespräch mit der Projektgruppe (Foto: Ingrid Fisch) In Münster leben Menschen aus rund 140 Nationen. Die Stadt Münster hat deshalb die Position eines Dezernenten für Migration und interkulturelle Angelegenheiten eingerichtet. Dieses Amt in der städtischen Verwaltung hat Jochen Köhnke inne. Seine Büroräume befinden sich im Stadthaus 2 am Ludgeriplatz.

Eine seiner vielfältigen Aufgaben ist es, gemeinsam mit vielen anderen Beteiligten in der Stadt Konzepte für die Verbesserung des Zusammenlebens der Menschen mit und ohne Migrationsvorgeschichte zu erarbeiten. Als Beispiel hierfür sei das Migrationsleitbild genannt, das im Sommer 2008 vom Rat der Stadt verabschiedet wurde. Im April 2008 stand er mit seinem umfassenden Wissen zum Thema Einwanderer der Projektgruppe als Ansprechpartner zur Verfügung.

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Über das Potenzial der Migration — Im Gespräch mit Dezernent Jochen Köhnke

Mit Spannung verfolgten die Schülerinnen und Schüler des Geschwister-Scholl-Gymnasiums am 3. April 2008 das angeregte Gespräch mit ihm. Er gab Einblicke in all jenes, was die Verwaltung für Einwanderer tun kann.

O-Ton: Über Vorurteile und „das Fremde“ (3:12)

Roswitha Link vom Stadtarchiv: Vielen Dank Herr Köhnke, dass Sie sich für unser Projekt Zeit genommen haben. Was können Sie uns über ihre Aufgaben erzählen?
Vorweg einiges Grundlegendes: Das politische Organ, das sich mit Migration und Integration befasst, ist der Ausländerbeirat. Ich bin ein städtischer Dezernent, d.h. jemand, der Konzepte entwickelt und Kontakte zwischen Politik und Verwaltung vermittelt. Der verfolgt, dass das, was konzeptionell und politisch in einer Stadt vorgesehen ist, auch umgesetzt werden kann. Also jemand, der Rahmenbedingungen schafft.

Daniel: Wie sieht die Situation der Ausländer in der Stadt aus?
Die Stadt Münster ist in einer besonderen Situation. Es handelt sich um eine Stadt mit rund 280.000 Einwohnern. Gleichzeitig hat die Stadt aber auch rund 50.000 Studierende. Gleichermaßen zählt sie 51.000 Menschen mit Migrationsvorgeschichte.

Inken, Michelle, Annamika, Mareike und Janis (v. l.) informieren Dezernent Jochen Köhnke über das Projekt. (Foto: Ingrid Fisch) Inken: Wer gehört zu diesen 51.000 Menschen?
Dazu rechnen wir drei Gruppen. Zum einem Menschen, die Ausländer im klassischen Sinne sind. Wir sprechen dabei über einen Rechtsbegriff. Das bedeutet, man hat keine deutsche Staatsangehörigkeit. Das sind für Münster etwas über 21.000 Menschen. Die zweite Gruppe können wir nicht konkret fassen: Das sind die Spätaussiedler. Wir haben dies hochgerechnet. Dann kommen wir bei etwa 25.000 Menschen an. Die dritte Gruppe ist die der Eingebürgerten, also derjenigen, die in den letzten elf Jahren einen deutschen Pass beantragt und bekommen haben. Das sind immerhin 14.000 Menschen. Rechnet man die Zahlen nun zusammen, merkt man, dass dies mehr als 51.000 Menschen sind.

Janis: Wie lässt sich das erklären?
Das ist ein häufiges Problem im Bereich der Migration, dass die staatlichen Zahlen über den Mikrozensus nicht identisch sind mit denen, die die Kommunen errechnen. Für die Stadt Münster ist dies kein Problem. Wir nehmen die Zahl 51.000, da sie gedeckt ist über den Mikrozensus, wohl wissend, dass wir im Hinterkopf die etwas größeren Zahlen zugrunde legen müssen.

Marie: Könnten Sie Mikrozensus erklären?
Das ist eine besondere statistische Möglichkeit, die Bevölkerung in der gesamten Bundesrepublik aufzublättern. Da schaut man etwa, wie viel Menschen sind verheiratet, wie viel haben Kinder, wo kommen sie her, wo arbeiten sie. Der Staat erkennt anhand der Zahlen, wie er aufgestellt ist. Eine bestimmte Anzahl Menschen wird befragt und dann werden deren Angaben hochgerechnet.

Annamika: Wie sieht der bundesweite Rahmen aus?
In der Bundesrepublik Deutschland leben rund 82 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner, davon sind etwas über 19 Prozent Menschen mit Migrationsvorgeschichte. Wir wissen, dass derzeit ein Drittel der Kinder unter fünf Jahren einen Migrationshintergrund hat und dass dies in den Großstädten heute schon über die Hälfte ist. Wer eine Stadt heute vernünftig aufstellen will, der muss wissen, dass er in circa 40 Jahren keine Stadt in der Bundesrepublik mehr vorfinden wird, in der mehr Menschen ohne Migrationsvorgeschichte leben als mit. Das heißt, es gibt eine enorme Veränderung in der demografischen Entwicklung. Insbesondere in den Städten. Warum geht das so schnell? – Die Deutschen sind im Vergleich zu den Ausländern alt. Zudem liegt die Geburtenrate der Deutschen unter der der Menschen mit Migrationsvorgeschichte.

Bilal: Wandern mehr Menschen ein oder aus?
Die Aus- und die Einwanderungen nach Deutschland halten sich aktuell fast die Waage. In der Vergangenheit war dies anders. Wir müssen uns heute den Zahn ziehen, dass die ganze Welt nach Deutschland will. Das ist so nicht. Wir müssen uns sehr bemühen, gute Kräfte nach Deutschland zu holen. Denn die Rahmenbedingungen sind in Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Ländern schlechter. Man muss sich zum Beispiel nach fünf Jahren das Recht hier zu sein beantragen. Außerdem zahlt man in Deutschland in der Zwischenzeit relativ schlechte Löhne. Das soll aber nicht heißen, dass Deutschland nicht mehr attraktiv ist.

Abschlussveranstaltung der Arbeitsgruppe zum Migrationsleitbild, 12.2.2008 Katja: Hat man in der Vergangenheit in Bezug auf die Migration einiges versäumt?
Bis zum Jahr 2000 haben wir das Thema Migration geradezu versteckt. Erst dann kam zunehmend die offizielle Einsicht, dass wir ein Einwanderungsland sind. Dass sich das so entwickelt, wusste man schon seit 30 Jahren. Im Jahr 2005 haben wir in der Bundesrepublik Deutschland erstmals ein Zuwanderungsgesetz bekommen, in dem Integration ein Bestandteil war. Als Folge gibt es heute z. B. einen breiteren Anspruch auf Sprachkurse, die zudem rechtlich normiert worden sind. Dieses Gesetz hat die Ausländerämter auch zu Integrationsämtern gemacht, was sie bis dahin nicht waren.

Michelle: Wie sieht die aktuelle Situation aus?
Im Jahr 2007 hat es das erste Mal in der Bundesrepublik die Zusammenkunft und Verabschiedung zum nationalen Integrationsplan gegeben. Unsere Bundeskanzlerin hat eine eigene Staatsministerin zu dem Thema eingestellt, ihr Name ist Professor Maria Böhmer. Und diese Staatsministerin hat die Aufgabe, sich um die Integration im großen Rahmen zu kümmern. Die Stadt Münster hat sich wesentlich früher mit dem Thema beschäftigt. Es ist schnell erkannt worden, dass die Annahme, dass die Migrantinnen und Migranten schnell wieder wegziehen, nicht stimmt. Zweitens bringen Einwanderer mehr Potenzial mit als sie wegnehmen. Dazu gibt es auch eine Studie des deutschen Instituts für Wirtschaft. Dieses hat festgestellt, dass z.B. ein Spätaussiedler bereits nach einem Jahr des Aufenthaltes mehr in den Staat einzahlt als er bekommt.

Dezernat MIA-Homepage:
› www.muenster.de/stadt/zuwanderung/

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Wohnen als Integrationsfaktor — Münsters Migrationsleitbild

Je nachdem, wo man wohnt, schreitet die Integration unterschiedlich gut voran. Eine Einsicht, die Dezernent Jochen Köhnke zum Anlass nimmt, über den Bereich Wohnen im Rahmen des Migrationsleitbildes Münster zu sprechen.

Tortendiagramm Münster 2006, Einwohner: 272.771, davon ohne deutschen Pass: 8%, mit deustchem Pass: 92&.Im Jahr 2005 hat Münster begonnen, ein Migrationsleitbild zu entwickeln. 2008 wurde es vom Rat verabschiedet. Zugrunde lag die Erkenntnis, dass Migration eine Querschnittsaufgabe ist, d.h. sie reicht in alle Bereiche des Lebens hinein. Sie ist eine soziale, gesundheitliche, rechtliche und stadtplanerische Aufgabe, weil sich Migration mit dem Menschen beschäftigt. „Ein solches Leitbild kann man nur mit den Betroffenen und ihren Vertretern erarbeiten: dem Ausländerbeirat und den vielen Migrantenselbstorganisationen“, sagt der städtische Dezernent.

Zum Migrationsleitbild
„Wohn- und Stadtentwicklung ist eine grundsätzliche Angelegenheit“, stellt Jochen Köhnke klar. Je nachdem, wo man wohnt, schreitet die Entwicklung der Integration unterschiedlich gut voran. Als Faustregel hat man herausgefunden, dass Neueinwanderer – wenn sie etwa von einer Lotsin bzw. einem Lotsen über die Struktur und die Rahmenbedingungen der Stadt informiert worden sind – in gemischten Wohnvierteln leben möchten. Und nicht in den Gebieten, in denen mehr Menschen mit Migrationsvorgeschichte wohnen, wie man lange annahm. Untersuchungen bestätigen die Vorteile dieser Siedlungspolitik: In den gemischten Gebieten sind bei gleicher Ausbildung doppelt so viele Menschen mit Migrationsvorgeschichte in Arbeit. „Für Münster ist deshalb ein wichtiger Leitsatz: Wie kann Wohnen organisiert werden? Wie kann die richtige Mischung erreicht werden?“, so Jochen Köhnke Der Pädagogik-Professor Hans-Uwe Otto aus Bielefeld spricht in diesem Zusammenhang von den „Fließend-Falschsprechern“. Das wiederum hat etwas mit dem Gebiet zu tun, in dem man aufwächst. Zum Beispiel in Wohnvierteln, in denen die Menschen eher bildungsfern sind, sprechen viele Freunde und Bekannte ein falsches Deutsch. Unabhängig von der eigenen Intelligenz lernt man genau das, was man aus dem Umfeld vermittelt bekommt. Spätestens ab der dritten Klasse in der Schule, erst Recht aber auf der Ausbildungssuche, haben diese Einwandererkinder kaum Erfolgschancen. Insofern hat Wohnen eine erhebliche Auswirkung auf die Integration.

Ferne Zukunftswünsche
Dies ist jedoch nicht so leicht steuerbar, wie sich das Dezernat für Migration und interkulturelle Angelegenheiten dies wünscht. Dazu Jochen Köhnke: „Die Lebenswirklichkeit ist im Moment noch so, dass wir erst von Neuzugezogenen erfahren, wenn sie sich beim Bürgeramt anmelden. Unser Ziel wäre, dass jemand, der beispielsweise von Brüssel nach Münster zieht, uns vorher einen Brief schreibt. Im besten Fall schaut er zurzeit vorher ins Internet. Dann sucht er sich selbst oder über seine Firma eine Wohnung. Und erst, wenn er da ist, befasst er sich mit den Dingen in der Stadt. Insofern ist die Erstwohnsitznahme für uns wenig beeinflussbar. Unser Ideal wäre für die Zukunft, dass wir zum Start in Münster eine Art Hotel mit Zwei-, Drei- oder Vierzimmerwohnungen zur Miete anbieten könnten. Kommt jemand neu nach Münster, könnte er von dort aus, eine dauerhafte Wohnung wählen. Das wäre eine attraktive Serviceleistung, von der Münster jedoch noch weit entfernt ist. So bleibt es für die kommenden Jahre vorerst ein spannendes Fernziel.“

Mehr Informationen (PDF):
› www.muenster.de/stadt/kv/pdf/migrationsleitbild2008.pdf

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