Stadt Münster: Die Ausgrabungen auf dem Parkplatz an der Stubengasse 1997 bis 1999

Zwischen Clemenskirche und Klarissenkloster

Die Ausgrabungen auf dem Parkplatz an der Stubengasse 1997 bis 1999

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Von Paradieskörnern und Portulak

Pflanzenreste aus Brunnen und Kloaken

Ralf Urz

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Ein "stilles Örtchen" erzählt

Ein wiederum völlig verändertes Bild zeigt sich nur wenige hundert Jahre später. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde auf dem Gelände das Klarissenkloster gegründet. Archäobotanisch konnte der Inhalt einer Latrine untersucht werden, der, wie die archäologischen Funden nahe legen, im 17. und frühen 18. Jahrhundert entstand. Die Latrine lag zwar außerhalb des Klosterkomplexes, wurde aber eventuell vom Kloster mitbenutzt. Der Fund vieler kleiner Blättchen vom Buchsbaum spricht dafür, dass ein nahe gelegener Garten mit diesem Ziergehölz gestaltet war.

Ein artenreiches Spektrum an Pollenkörnern, Früchten und Samen gibt nun vor allem Einblicke in die Ernährung der Bewohner während der Neuzeit. Häufige Pflanzenreste in der Latrine waren Fetzen der Fruchtwand von Getreidekörnern. Während der Mehlkörper des Getreides verdaut wurde, wurden die härteren äußeren Zellschichten der Körner ausgeschieden und haben sich bis heute erhalten. Sie belegen, dass ein großer Teil der Nahrung aus gemahlenen Mehlprodukten und aus Getreideschrot bestand. Unkräuter der Getreidefelder, wie die giftige Kornrade und die Kornblume zeigen, dass man sich nicht die Arbeit machte, alle Verunreinigungen des Ernteguts vor dem Verzehr abzutrennen.

Reiskorn

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Zwei Kulturpflanzen fallen hier besonders auf, nämlich Buchweizen und Kulturreis. Buchweizen ist eigentlich kein Getreide im botanischen Sinn, sondern ein Knöterichgewächs. Aufgrund seiner mehlhaltigen Früchte wurde er seit dem späten Mittelalter ähnlich wie Getreide genutzt und als Grützbrei oder Pfannkuchen verzehrt. Reis war als Importgetreide aus Asien und später vor allem aus dem Mittelmeerraum teuer und stand daher lange Zeit nur der wohlhabenden Oberschicht zur Verfügung. Mittelalterliche Funde von Reis sind deshalb selten. Im 18. Jahrhundert gehörte Reis jedoch zur Beilage vieler Speisen der "gehobenen Küche", wie wir aus Kochbüchern dieser Zeit wissen. In der Latrine fanden sich mehrere robuste Spelzen seiner Körner.Sie weisen darauf hin, dass Kulturreis in den Spelzen erworben und vor dem Zubereiten geschält wurde.

Neben den Getreiden waren auch Pflanzen, die als Gemüse, Salat oder Gewürze in der Küche verarbeitet wurden, häufig vertreten. So verzehrte man Kohl, Raps oder Senf, Portulak, Fenchel und Dill, Petersilie, Koriander, Wacholder, Thymian, Kürbis, Melone oder Gurke - und "Paradieskörner", so wurden, wohl wegen ihrer Herkunft und ihres Wertes, die Samen des Melegueta-Pfeffers genannt, einem in Westafrika heimischen Ingwergewächs. Seit dem frühen 13. Jahrhundert gelangte er zunächst auf dem Landweg durch die Sahara an die Mittelmeerküste und weiter nach Venedig und Genua; in Deutschland wurde er dann in Augsburg und Nürnberg weiter verhandelt. Später holen Portugiesen, Niederländer und Engländer den Melegueta-Pfeffer auf dem Seeweg von der "Pfefferküste" nach Europa. Nun findet er sich auch häufiger in frühneuzeitlichen Befunden.

Als beliebtes Genussmittel und auch zur Zubereitung von Saft und Marmelade wurde vielerlei Obst verwendet. Von Kulturobst zeugen Steinkerne und Samen von Feige, Apfel und Birne, Walnuss, Süß- und Sauerkirsche, Pflaume, Weinbeere, Johannis- und Stachelbeere. Ergänzt wurde das Obstangebot durch wildwachsende Sammelfrüchte und Nüsse. So pflückte und sammelte man in Wäldern, Gebüschen und Hecken Haselnüsse, Schlehen, Holunder und Hagebutten, Brom- und Himbeeren, Erdbeeren und Heidel- oder Preiselbeeren.

Holzschnitt: Pfeffertransport, 1502

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Die Latrine verrät uns ein reichhaltiges Spektrum an hochwertigen Nahrungspflanzen mit Import-Früchten und -Samen von Reis, Feige und westafrikanischem Pfeffer, ergänzt durch die Miesmuschel als importierter Meeresfrucht. Ein solcher Speisezettel weist auf einen gehobenen Lebensstil hin. Ob es die Nonnen des Klarissenklosters selbst waren, die die Latrine nutzten, oder ein bürgerlicher Besitzer, der im Dienste des Klosters stand, muss zunächst noch offen bleiben.

Hier endet vorerst die archäobotanische Geschichte um den Wandel der Stubengasse und um die Lebensverhältnisse ihrer Bewohner, die sich aus den Pflanzenresten ablesen lässt. Nahrungspflanzen und Unkräuter spiegeln eine wechselvolle Geschichte wider, die vom hochmittelalterlichen Bauernhof, über einen Schuttplatz des Spätmittelalters zur Latrine im 17. und frühen 18. Jahrhundert führt.


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