Kriegschronik Münster im Ersten Weltkrieg

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1914 - Kriegsgefangene

Lagerleben

In Münster entsteht das größte Kriegsgefangenenlager Nordwestdeutschlands. Insgesamt leben von 1914 bis 1918 etwa 90.000 Kriegsgefangene aus Frankreich, England, Russland, Belgien, Italien, Portugal und Serbien in der Stadt. Für die Kriegsgefangenen werden drei Lager eingerichtet: Lager I: Haus Spital, Lager II: Rennbahn an der Hammer Straße und Lager III: Rohbau der Infanteriekaserne an der Kinderhauser Landstraße.

Die ersten französischen Kriegsgefangenen kommen am 12. September 1914 an. Sie finden kein Gefangenenlager vor, nur eine umzäunte Wiese. Die deutschen Kommandobehörden haben auf einen schnellen Sieg gehofft und deshalb nicht entsprechend vorgesorgt.

Chronikeintrag vom 12. September 1914

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vergrößernAnkunft französischer Kriegsgefangener, 1914

'Hauptsächlich aus der Festung Maubeuge, die am 7. mit 40.000 Mann, 4 Generälen, 400 Geschützen und zahlreichem Kriegsmaterial kapituliert hat, trafen hier die ersten Gefangenen ein. Die Sonderzüge wurden auf die Strecke Münster-Burgsteinfurt geleitet und die Gefangenen in Nienberge ausgeladen, von wo ihr Marsch zum Truppenexerzierplatz beim Hause Spital erfolgte.'


Chronikeintrag vom 19. September 1914

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vergrößernKriegsgefangene im Notlager Haus Spital, 1914

'Ihre Unterbringung [der französischen Kriegsgefangenen] ist vorläufig noch mit großen Schwierigkeiten verbunden. Zum Schutze gegen den ständigen Regen wurden zunächst ganze Reihen schräger Holzgerippe aufgerichtet und mit wasserdichten Plantüchern bespannt. In diesen langen Gassen liegen die Gefangenen auf Stroh ziemlich geschützt. Aus Brettern, Balken und Plaggen bauen sich viele selbst warme Erdhütten in der Art von Unterständen. Die Gefangenenstadt soll aus 3 großen Blocks von Holzbaracken bestehen, die im Viereck zusammengebaut werden und deren Fußböden auf Balken etwa 30 cm über dem Erdboden zu liegen kommen. Mitten in jedem der drei von den Wohnbaracken gebildeten Krals werden die Wirtschaftshäuser mit Küche, Wäscherei und Baderaum angelegt. Im ganzen Lager sollen die Wege mit Schwellen befestigt werden. Für die Zukunft werden technische Einrichtungen getroffen, um die zahlreichen Abwässer, Grundwasser und das Regenwasser abzuleiten. Tag für Tag herrscht dort ein ungewohntes Leben und Treiben bunt zusammengewürfelter fremder Nationen. Die Gefangenen riefen sofort ein fast fieberhaftes Interesse bei vielen Einwohnern hervor. Durch Sturm und Regen wandern schon seit Sonntag hunderte den durchweichten Weg zum Haus Spital, um die zum Teil sehr ungepflegt aussehenden Franzosen anzustarren und sich von den hochmütigen Engländern überlegen betrachten zu lassen. Unreife Burschen reichten den Gefangenen durch das Drahtgitter Zigaretten, versuchten mit ihnen ein paar französische oder englische Wörter zu radebrechen und hielten das ungewohnte Bild auf der photographischen Platte fest.'


Chronikeintrag vom 19. September 1914

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vergrößernLager II Rennbahn

'Die wachsende Zahl der Kriegsgefangenen zwang die Heeresverwaltung, auch die Rennbahn des Reitervereins auf der Geist als Gefangenlager für 10.000 Mann in Anspruch zu nehmen. Der Barackenbau ist bereits begonnen. Durch die Absperrung ist das Lager von der Außenwelt abgeschnitten. In gesundheitlicher Hinsicht eignet sich die auf dem Sattel des leichten Hiltruper Höhenrückens auf Sandboden liegende Rennbahn besser für ein Massenlager als das schwer durchlässige Senkel-Gelände beim Hause Spital. Gegen die Anlegung des Spitaler Lagers erhob der Oberbürgermeister auf Grund eines Gutachtens des Stadtarztes Dr. Wilhelm Kreke beim Oberpräsidenten schwere Bedenken.'


Chronikeintrag vom 19. September 1914

'In den Gefangenenlagern läßt der ,Münsterische Anzeiger’ den deutschen Tagesbericht als Bulletin pour les prisonniers francais et anglais in französischer und englischer Übersetzung anschlagen.'


Viele Münsteraner beobachten die Kriegsgefangenen mit Neugier und Faszination. Sie nehmen die Gefangenen direkt in Haus Spital in Augenschein; Schaulustige begleiten Gefangenentrupps in der Stadt. Generalkommando und Behörden wollen Beziehungen zwischen Zivilbevölkerung und ausländischen Kriegsgefangenen verhindern und sprechen entsprechende Verbote aus. Gefangenenkultus sei unter keinen Umständen zu dulden.

Eintrag in der Chronik vom 29. September 1914

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vergrößernKriegsgefangener beim Barackenbau

'Eine widerliche Szene spielte sich heute abend auf der Ägidiistraße ab. Als gegen 7 Uhr ein Trupp gefangener Franzosen von den Barackenbauten auf der Rennbahn zum Gefangenlager Haus Spital zurückgeführt wurde, scharte sich in der Nähe der Ägidiikaserne eine große Menge zusammen, die die Gefangenen mit Johlen und Rufen empfing und begleitete.'


Chronikeintrag vom 9. Oktober 1914

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vergrößern Krankensaal im Kriegsgefangenenlager III

'Über französische und englische Kriegsgefangene macht das Generalkommando auf Grund der Postkontrolle interessante Angaben: ,Die Mitteilungen der verwundeten Franzosen sind durchweg auf einen sehr zufriedenen Ton gestimmt. Sie loben die Behandlung in den Lazaretten, rühmen die gewissenhafte Sorgfalt der Ärzte und Pfleger und ergehen sich vor allem in Anerkennung des Essens und Trinkens. Manche beruhigen ihre Angehörigen mit der Versicherung, daß sie es gegenwärtig besser hätten als daheim. Und die Engländer? […] Von einem Lobe ihrer Lazarettbehandlung, die doch genau derjenigen der Franzosen entspricht, ist nicht die Rede; kein Wort der Anerkennung für gute Kost und Pflege fließt ihnen aus der Feder.'


Chronikeintrag vom 13. Oktober 1914

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vergrößernBau des Lagers II 'Rennbahn', 1914

'Das Gefangenlager auf der Rennbahn ist in den letzten Tagen von etwa 2.000 Gefangenen aus dem Hause Spital bezogen worden. Außerdem ist ein Teil der Gefangenen von Spital in die neue Infanteriekaserne an der Kinderhauser Landstraße verlegt worden. Dieser Kasernenneubau ist notdürftig zu Ende geführt; vorläufig sind dort 3000 Gefangene untergebracht.'


Chronikeintrag vom 27. Oktober 1914

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vergrößernAnonymer Protest gegen Kontakt mit Kriegsgefangenen, 1914

'Mit heiligem Zorne geht eine Bekanntmachung des Generalkommandos mit den Leuten ins Gericht, die den durchziehenden Kriegsgefangenen hinter dem Rücken der Begleitmannschaften Schokolade und Zigaretten zustecken und so im Gegensatz zu den rassestolzen Franzosen und hochmütigen Engländern ihr Stammesbewußtsein gegen unsere Feinde dienerisch verleugnen. An die Adresse der Neugierde und Sensationslust mancher Frauen richtete sich vor einigen Tagen eine Erklärung derselben Behörde, daß Frauen das Betreten von Gefangenlagern, um die manche gebeten hatten, und von Kasernen, Übungsplätzen oder Bahnschutzstellen selbst zum Besuche ihrer dort den Dienst verrichtenden Männer nicht gestattet würde.'


Die Situation der Kriegsgefangenen wird von offizieller Seite idealisiert dargestellt. Die Realität sieht anders aus. Die Gefangenen werden fern ihrer Heimat über lange Zeiträume festgehalten. Die Baracken teilen sie nicht selten mit allerlei Ungeziefer, was zum Ausbruch von Krankheiten führt. Ausbruchsversuche und hohe Fluchtraten verschweigt das Generalkommando, die Post der Gefangenen wird kontrolliert. Das Generalkommando installiert aufgrund von Klagen Kontrolloffiziere zur Überprüfung der Lagerverhältnisse.

Chronikeintrag vom 2. November 1914

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vergrößernKriegsgefangenenlager Haus Spital

'In das Gefangenenlager Haus Spital wurden gestern rund 500 Franzosen und Engländer, heute 2.000 Franzosen, 1.000 Engländer und 300 Zivilisten, größtenteils abgefangene französische Reservisten, gebracht. Den englischen Sanitätsoffizieren beim Reservelazarett hat der Kommandierende General den Verkehr in der Stadt und den Besuch von Wirtschaften verboten.'


Chronikeintrag vom 7. November 1914

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vergrößernKriegsgefangene beim Gleisbau

'Jetzt ist der Bau einer Verbindungsbahn des Lagers [Kriegsgefangenenlager Haus Spital] mit der Staatseisenbahn in Angriff genommen. Zugleich soll dieses Anschlußgeleise den Zwecken des Korpsbekleidungsamtes und des Artilleriedepots dienen. Das Gleise soll kurz vor Haus Nevinghoff (Kajüter) von der Gronauer Strecke abzweigen, dann weiter vor der Wienburg hinter Mariental und vor der neuen Infanteriekaserne her nach Haus Spital führen.'


Chronikeintrag vom 15. November 1914

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vergrößernZug von Kriegsgefangenen

'Die ersten russischen Gefangenen, 500, trafen des Morgens hier ein. Sie wurden auf dem Hause Spital untergebracht.'


Chronikeintrag vom 10. Dezember 1914

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vergrößernDesinfektion des Lagers II Rennbahn

'Für die Kriegsgefangenen, die an Seuchen erkrankt oder seuchenverdächtig sind, wird ein neues Lager auf dem gesunden trockenen Sandboden der Kinderhauser Heide aus Wellblech aufgebaut, dort, wo der Sandweg am Max-Clemens-Kanal auf die Kinderhauser Landstraße trifft.'



 

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