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Fußball und Flamenco — Das Spanische Zentrum in Hiltrup

Maria Del Pilar & eine Freundin im Jahr 1965 (Foto: privat) Eine Flamenco-Gruppe und ein Fußball-Team, regelmäßige Ausflüge und der stetige Seniorentreff — das sind feste Bestandteile des Spanischen Zentrums Hiltrup an der Westfalenstraße 245. Nicht zuletzt die kulinarischen Köstlichkeiten haben das Centro Espanol in ganz Münster zu einer Institution gemacht. Auch Maria del Pilar besucht häufig das Spanische Zentrum. Mit ihr unterhielten sich Mareike und Inken.

Vor 35 Jahren wurde in Hiltrup das Spanische Zentrum gegründet. Heute gibt es gut 240 Mitglieder, darunter natürlich viele spanische Muttersprachler, aber auch einige Deutsche. Die Geschichte des Zentrums ist eng mit der Geschichte der Glasurit-Werke, der heutigen BASF Coatings verbunden. Bereits Anfang der 1960er Jahre kamen die ersten so genannten Gastarbeiter — darunter viele Spanier — nach Hiltrup. Sie sollten befristet den Arbeitskräftemangel ausgleichen. Doch aus zwei Jahren wurden schnell zehn. 1973 beschloss das Unternehmen deshalb, seinen spanischen Mitarbeitern die heutige Einrichtung als Kultur- und Begegnungsstätte zur Verfügung zu stellen.

Im Spanischen Zentrum (Foto: Westfälische Nachrichten vom 26.07.1989) Heute besuchen vor allem die Kinder der ersten spanischen Einwanderergeneration, die in Deutschland aufgewachsen sind, das Zentrum. Sie pflegen die iberische Kultur mit Festen, Bräuchen und Traditionen. Unterstützung findet das Centro Espanol sowohl bei der spanischen Botschaft als auch weiterhin bei BASF Coatings.

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Was ist Freiheit?

Am 12. Oktober 1940 wurde Maria Del Pilar als Tochter eines Elektrikers und seiner Frau Johanna in Piedrheta, einem kleinen Dorf in der Provinz Avila (Spanien), geboren. Sie hatte zwei ältere Brüder, Juan und Pedro.

Die Kindheit
Maria Del Pilar als Kind (Foto: privat) „Wir waren arm, aber ich war sehr, sehr glücklich!“, sagt die heute 68-Jährige. Maria führte ein unbeschwertes Leben bis sie eingeschult wurde. Sie spielte mit den Kindern in ihrem Dorf, hatte viele Freunde und Bekannte und war ein sehr aufgewecktes Kind. Als dann für sie mit sechs Jahren die Schule begann, merkte sie schnell, dass das Stillsitzen nichts für sie war. „Um neun Uhr brachte mein Vater mich zur Schule, und um elf bin ich wieder draußen gewesen; egal wie. Ich war immer sehr unruhig und Stillsitzen konnte ich nicht“, blickt sie zurück. Nicht selten hat sie Prügel von ihrer Lehrerin bekommen.

Um drei Uhr stand Handarbeit auf dem Stundenplan und sie war die Erste, die mit Feuer und Eifer dabei war. Auch Theaterspielen war eine große Leidenschaft des Mädchens, zu dem ihre Mutter sagte: „Warum bist du eigentlich kein Junge?!“ Immer wieder betont sie, dass sie eine glückliche Kindheit verlebte, und immer mehr von den Leuten um sie herum lernte, als jemals in der Schule.

„Wir ziehen nach Madrid.“
Weil ihr Bruder Juan in der spanischen Hauptstadt ein Halbstipendium zum Studieren bekam, zog die zehnjährige Maria mit ihrer Familie nach Madrid. Die Umstellung vom Dorfleben auf das Stadtleben in einer Großstadt wie Madrid war für die ganze Familie nicht einfach. Obwohl sie so jung war, fing sie an zu arbeiten. Sie war Schneiderin und ging nur nebenbei zum Zuhören zur Schule. „In dieser Zeit hebe ich sehr viel über die Menschen gelernt“, meint sie. Auch ihre Brüder arbeiteten als Paketverteiler und in einem Lebensmittelgeschäft. Jeden Tag von früh bis spät. Ihre „Karriere“ nahm ihren Lauf. Es folgten etliche Jobs, jeder besser bezahlt als der vorherige. Zwei Euro verdiente sie dabei im Schnitt im Monat. Mit vierzehn in einem Medikamentenlabor, mit fünfzehn in einer Zahnpastafabrik und mit sechzehn in einem Medikamentenlabor. In einer Goldschmiede schließlich, in der sie fünf Jahre arbeitete, erschlossen sich ihr ganz neue Möglichkeiten.

Zuhause in Madrid hatte sie wenige Freiheiten, ihre Brüder passten immer auf sie auf. Die Familie stand bei allem an erster Stelle. Sie hat sich oft eingeengt gefühlt. Auch gesellschaftlich, denn in Spanien regierte der Diktator Franco. 22 Jahre war sie alt. Viele ihrer Freundinnen wanderten nach Deutschland aus und sie fragte: „Was wollt ihr in Deutschland?“ Die Antwort war kurz: „In Deutschland ist die Freiheit. Du kannst dort tun und lassen was du willst.“

„Freiheit, Freiheit … was ist Freiheit?!“
Auch Maria ließ sich einen Vertrag zukommen, der sie berechtigte nach Deutschland auszuwandern. Doch Mutter und Vater ließen sie zuerst nicht gehen. Ihre Brüder waren gekränkt. Doch Mutter Johanna schaffte es, den Vater zu überreden: „Lass das Kind doch gehen, vielleicht liegt ihr Glück in Deutschland, lass sie doch gehen.“

Maria Del Pilar im Jahr 1959 (Foto: privat) 1963 unterschrieb ihr Vater den Vertrag. Im selben Jahr verließ sie Spanien mit nur einem Koffer im Zug in Richtung Deutschland. In Hagen kam sie an und wurde von ihren Freundinnen in Empfang genommen. Das erste Wort, das sie lernte war „Bitte“. Einen Sprachkurs hat sie nicht besucht. Von Hagen aus ist sie nach Lüdenscheid gefahren. Dort lebte und arbeitete sie mit 14 Spanierinnen und zwei Griechinnen in einer Fabrik für elektronischen Zubehör. Doch die versprochene Freiheit blieb aus. In Tanzlokale wurden sie nicht eingelassen, im Laden als letzte zur Kasse gebeten und als „Scheiß Ausländer“ beschimpft.

„Ihr stinkt nach Knoblauch!“, oder „Ihr Knoblauchfresser, geht dahin zurück wo ihr hergekommen seid!“, lauteten die Parolen, die ihr noch immer in den Ohren nachklingen. Auch bei der Arbeit fühlte sie sich benachteiligt. Eines Tages wurde es Maria und ihren Kolleginnen zu viel. Gemeinsam beschwerten sich die Spanierinnen bei ihren Vorgesetzten. „Warum immer die Ausländer putzen müssten?“, wollten sie wissen. — Erwidert wurde die Frage mit der Kündigung. Nach einem Jahr Demütigung in Deutschland beschloss sie sich zu wehren.

„Wer kämpft, das bin ich“, sagt sie beherzt. Die spanischen Arbeiterinnen bekamen direkt Anstellung in einer anderen Fabrik. Im Gegensatz zu heute gab es damals genug Arbeit für alle, man konnte kündigen und direkt die nächste Stelle annehmen. Maria lernte in der neuen Fabrik auch ihren heutigen Mann, Horst Dieter Fischer, kennen. Nach vier Wochen Spazierengehen waren sie Weihnachten 1965 ein Paar. Maria wurde schwanger. Im Sommer 1966 heirateten sie.

„Du bist unser Sohn.“
Marias Familie hat ihren Schwiegersohn mit offenen Armen empfangen. Dieters Vater dagegen war nicht besonders begeistert, dass sein Sohn eine Ausländerin heiratete. Im Januar des folgenden Jahres kam ihr Sohn Michael zur Welt, im September des nächsten Jahres ihre Tochter Marianne.

Doch nicht nur der Schwiegervater tat sich schwer mit der Spanierin. „Scheiß Ausländer“, rief eine Frau aus dem Fenster. Maria erwiderte: „Komm mal runter, dann zeig ich dir scheiß Ausländer!“ Zwei Wochen später war diese Nachbarin in Geldnot. „Keiner hat die Tür für sie aufgemacht, keiner wollte etwas damit zu tun haben, aber ich. Ich lud sie ein: ‚Komm mal rein, was ist denn los?’“, erzählt Maria. Die Frau erklärte, sie wisse nicht, was sie machen solle. Sie bräuchte ganz dringend Geld. Maria gab es ihr: „So habe ich mir durch meinen Charakter meine Leute gekauft. Nach und nach.“

Maria Del Pilar im Jahr 1972 (Foto: privat) 1972 bekam Dieter eine neue Stelle, in Münster. Er verließ Lüdenscheid, die Familie kam sechs Monate später nach. Sie zogen nach Kinderhaus in die Killingstraße. „Heute gilt diese Gegend als sozialer Brennpunkt, aber damals wohnten noch recht viele ‚anständige’ Deutsche in diesem Block. Doch keiner fühlte sich wirklich wohl“, meint Maria. Ihre Kinder Marianne und Michael waren oft in Prügeleien und Streitereien mit den Nachbarskindern verwickelt, obwohl Maria immer, so gut es ging, versucht hat, auf die Zwei Acht zu geben. Immer noch musste sie viele abwertende Bemerkungen über sich ergehen lassen und zusehen wie ihre Kinder gedemütigt wurden. Doch sie betont immer wieder, sie habe gekämpft. Zugleich hat sie viele neue Bekanntschaften geschlossen. Nach vier Jahren schließlich, zog die Familie ein paar Häuserblocks weiter in eine Wohnung, in der sie seit 22 Jahren mit ihrem Mann lebt.

Mit den Gewohnheiten und dem Lebensstil der Deutschen kann sie sich bis heute nicht anfreunden. „Bitte, danke, bitte, danke, bitte, danke, bitte, danke! Wenn ich etwas für jemanden tue, dann tue ich es, weil ich es gerne mache, und nicht weil ich eine Gegenleistung erwarte. Wenn ich es nicht machen wollen würde, würde ich es nicht tun! Ich will auch keine Blumen oder irgendeinen symbolischen Dank dafür haben, denn das ist meistens sowieso nicht ehrlich gemeint. Wenn man sich darüber freut, was ich getan habe, das Leuchten in den Augen sehe, dann ist das der größte Dank für mich“, macht sie ihren Standpunkt klar.

„Außerdem haben die Deutschen die Türen nicht offen. Du kannst nicht erwarten, eingelassen zu werden. Ich habe keine Freunde in Deutschland, nur viele Bekannte, denn keiner macht für mich die Tür auf, wenn ich wirklich in Schwierigkeiten bin, außer meiner Tochter, aber auch die hat einen Deutschen geheiratet“, zeigt sie sich unglücklich. Und weiter: „Meine Freunde sind in Spanien. Ich mache das anders. Ich lasse jeden in meine Wohnung, so ist das in Spanien. Jeder kann bei mir mitessen, jeder darf sich wie zuhause fühlen.“

In Spanien habe die Familie einen viel höheren Stellenwert, als bei vielen Menschen in Deutschland. Die Familie halte in Spanien zusammen, sei das Fundament eines jeden. In Deutschland zögen die Kinder meistens schon mit 18 oder 19 Jahren aus dem Elternhaus aus. „Spanien ist meine Heimat, denn dort sind meine Brüder und meine wirklichen Freunde. Aber wenn ich vier Wochen da bin, sage ich zu Dieter: ‚Lass uns nach Hause fahren!’ So ist das“, zeigt sie ihren inneren Zwiespalt auf. Es ist schwer zu sagen, ob sie stolz auf ihr Land ist, ob sie zurück will und welches Land ihre Heimat ist. Vielleicht beide.

Wütend macht es sie, wenn ihre Bekannten schlecht von Ausländern im Allgemeinen sprechen. Denn, obwohl sie schon so lange in Deutschland lebt, empfindet sie sich nicht als Deutsche. Auch wenn dies die anderen offensichtlich anders sehen, denn niemand halte sich mit fremdenfeindlichen Äußerungen über andere in ihrer Gegenwart zurück. „Eines Tages wird es in Deutschland mindestens so viele Ausländer geben wie Deutsche. Meine Tochter hat zwei Kinder, eine Türkin fünf. Viele Ausländer sagen, die Deutschen seien das kälteste Volk“, sagt sie. Sie ist sich sicher, dass die Ausländer, auch für die, die über sie schimpfen, ein Zugewinn sind.

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