Der Chronist Dr. Franz Wiemers an seinem Schreibtisch im Stadtarchiv bei der Verfassung der Chroniknotizen, Dezember 1940.
Die Anfänge der münsterischen Kriegschronik zum Zweiten Weltkrieg verfasste Dr. Eduard Schulte (1886-1977). Schulte leitete das Stadtarchiv Münster seit 1913. Seine tagebuchartigen Aufzeichnungen für eine Chronik des Zweiten Weltkriegs reichen vom August bis Ende 1939. Schulte schrieb bereits eine umfangreiche Chronik zum Ersten Weltkrieg (1) und über die anschließenden politisch unruhigen Zeiten. (2) Aufgrund seiner Abberufung zur Sonderforschungsstelle "300-Jahr-Feier Westfälischer Frieden" übernahm ab Frühjahr 1940 Dr. Franz Wiemers die Führung der städtischen Kriegschronik. (3) Diese Aufgabe behielt er bis Anfang 1944 inne.
Franz Andreas Johannes Wiemers wurde am 4. April 1887 in Münster geboren. Wiemers bestand 1907 das Abitur und beendete nach einem Studium der Volkswirtschaftslehre und der Wirtschaftsgeschichte im Jahre 1913 seine Universitätsausbildung mit der Promotion. Im Jahr 1914 trat Wiemers freiwillig bei den 4. Deißen'schen Kürassieren in Münster ein. Seine Kriegsteilnahme dauerte bis 1918. Wiemers blieb nach dem Krieg mit dem Freikorps von Diebitsch im Grenzschutz zwischen Margrabowa und Thorn. Im Freikorps von Diebitsch diente er ab 1919 bis zum 1. Juli 1920 als Hauptmann im Generalstab. Dort begründete er eine Soldatenzeitung für das Freikorps. Nach der Auflösung des Freikorps im Jahr 1920 unterstützte er seine ehemaligen Kameraden beim Aufbau einer beruflichen Existenz etwa durch den Nachweis von Siedlerstellen. Diese Personengruppe bildete die so genannten "Baltikumer". (4) Wiemers trat in Münster als Anführer der Baltikumer auf, deren politische Ausrichtung am rechten republikfeindlichen Rand zu sehen ist.
Franz Wiemers leitete die ab 1919 bis 1922 erscheinende Zeitschrift "Der Arbeitskamerad", die den Zusammenhalt der Arbeits- und Siedlungsgemeinschaften als ihre Aufgabe ansah. Die Zeitung wurde in der Druckerei der Westfälischen Landeszeitung hergestellt, bei der Wiemers tätig war. (5) Nachdem das Baltikum als Siedlungsstelle ausfiel, konzentrierte sich die Siedlungsbewegung auf Ostpreußen. Wiemers richtete in seinem Haus an der Aegidiistraße eine Werbestelle für die Ostsiedlung ein, die sich um die Beschaffung von Siedlungsstellen für heeresentlassene Bauernsöhne aus Westdeutschland in die Siedlungsgemeinschaften des ehemaligen Freikorps kümmerte. Später wurde die Werbestelle zum "Westdeutschen Siedlerverband für Ostsiedlung" ausgebaut. (6) Zwischen 1928 und mindestens bis Ende 1934 war er geschäftsführender Direktor und Leiter der Ostsiedlungsberatungsstelle. Die Polizeibehörden der Weimarer Republik besahen die Aktivitäten dieser Gruppierung ehemaliger Freikorpskader durchaus mit Argwohn.
Im Juli 1928 gründete Wiemers darüber hinaus den Landvolk-Verlag G.m.b.H. in Cloppenburg und leitete den Verlag bis April 1930 von Münster aus. Dieser brachte zwei Tageszeitungen im hannoverschen Emsland und in Oldenburg heraus. Seit 1931 gehörte Wiemers für den Verbund auch zum Vorstand der nationalsozialistisch geführten "Reichsgemeinschaft für das deutsche Siedlungswesen e.V."
Nach der Auflösung seines Siedlungsverbandes 1934 widmete sich Franz Wiemers bis 1937 der Erforschung der Hausstättengeschichte von Münster und als langjähriges Mitglied des Pressevereins Münster journalistischer und heimatkundlicher Tätigkeit. Seine journalistischen Ambitionen hatte er schon im Kriege bewiesen.
Im Jahr 1938 traf ihn aus politischen Gründen Berufsverbot. Die genauen Umstände ließen sich nicht ermitteln. Wiemers ging bis 1940 als Abteilungsleiter zur Deutsch-Ungarischen Handelskammer nach Ungarn. Da seine Familie bereits seit Dezember 1939 wieder in Münster war, nahm er das Angebot an, die Kriegschronikstelle beim Stadtarchiv zu übernehmen.
Dr. Franz Wiemers am heimischen Schreibtisch bei der Durchsicht seiner Chronikeinträge, Mai 1943.
Zum 1. März 1940 erhielt Wiemers einen bis Kriegsende befristeten Vertrag bei der Stadt Münster. Er hatte eine Materialsammlung zur "Kriegschronik" anzulegen und war für die Herausgabe eines "Heimatbriefes" für zum Militär eingezogene Verwaltungsangehörige verantwortlich. Ab 25. September 1942 wurde die Abteilung Dr. Wiemers unmittelbar dem Archivdezernenten Stadtrat Aschoff unterstellt. Das Archiv war inzwischen nach Wöbbel ausgelagert worden, insofern waren durch die räumliche Trennung organisatorische Unzulänglichkeiten entstanden.
Er lebte mit seiner Familie in der Aegidiistraße 60. Beim Bombenangriff am 10. Oktober 1943 erlitt die Familie Wiemers einen Totalschaden. Es folgte die Evakuierung nach Amelsbüren.
Die Arbeitsstätte von Wiemers musste nach den Luftangriffen im Dezember 1943 in eine Gaststätte am Kappenberger Damm verlegt werden. Mitte 1944 wurde die Kriegschronik als "kriegsunwichtig" eingestuft. Daher endet die im Sinne des nationalsozialistischen Regimes angelegte Chronik Mitte 1944.
Seiner Personalakte konnten seine Funktionen in der NSDAP entnommen werden. Dem Personalamt teilte Wiemers am 25. September 1941 mit, dass er seit 1933 Mitglied der N.S.V (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) sei, außerdem Mitglied der D.A.F. (Deutsche Arbeitsfront), dass er im N.S.R.B. (Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund, Berufsgruppe Volkswirte) und außerdem im R.D.P. (Reichsverband der deutschen Presse) sei. Wiemers war Mitglied der NSDAP und tätig als Kreisrevisor der NSDAP sowie als Ortsbeauftragter für Volkstumfragen, zeitweise auch als Lazarettbetreuer. (7)
Seit dem 4. Februar 1943 verfügte Franz Wiemers über einen Ausweis, der ihn berechtigte, im Gebiet der Kreisleitung Münster-Warendorf und im Münsterland alle Zeitereignisse, auch von Bombenzerstörungen zu fotografieren. Ferner hatte er die Berechtigung, bei Luftalarm Straßen und Plätze zu betreten.
Er erhielt nach seiner Musterung Anfang April 1944 die U. K. Stellung (Unabkömmlichkeitsstellung), wohl aufgrund seiner gesundheitlichen Probleme. Die Führung der Kriegschronik wurde 1944 eingestellt.
Zum Ausgang der Entnazifizierung Wiemers ließen sich nur ungenaue Hinweise ermitteln, in jedem Fall wurde er bei der Stadt Münster nicht wieder eingestellt. Nach dem Krieg setzte sich Wiemers für den Wiederaufbau des Aegidiiviertels ein. Sein Engagement galt der "Wiederaufbaugemeinschaft Aegidiistraße und Nebenstraßen". Er widmete sich der Brauchtumspflege und machte sich um verschiedene Schützenbruderschaften verdient. Außerdem war er am Wiederaufbau des "Berufsverbandes der Volkswirte und Betriebswirte" beteiligt und fungierte als 2. Vorsitzender des Bezirks Münster. Außerdem wurde er Vorsitzender des Freiballonsportvereines Münster.
Dr. Franz Wiemers starb am 4.3.1964 in Münster.
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