In der Reihe "Kleine Schriften aus dem Stadtarchiv" erscheint jetzt das Buch "Kinderlandverschickung. Münsters Schulen in Oberbayern 1943-45". Es beschreibt ein weitgehend unbearbeitetes Kapitel der münsterschen Stadtgeschichte. Autor Eduard Füller hat viele Monate lang intensiv Akten und Archivalien ausgewertet, mit Zeitzeugen gesprochen und zahlreiche Fotos zusammengetragen, die eindrucksvoll verschiedene Aspekte des Alltags in der Kinderlandverschickung zeigen.
Bereits ab Januar 1941 wurden tausende Schülerinnen und Schüler, aber auch Mütter mit Kleinkindern in eine ferne "Kriegsheimat" transportiert. Mit Beginn der verschärften Luftangriffe ordnete der "Reichsverteidigungskommissar" Gauleiter Meyer im Sommer 1943 dann die komplette Verlegung der Schulen nach Oberbayern und ins Salzburger Land an.
Die Wasserturmschule (heute Wilhelm-Hittorf-Gymnasium) befand sich in Bad Wiessee. Das mit dem Schillergymnasium zu einer "Kriegsarbeitsgemeinschaft" vereinigte Paulinum, die Hermann-Löns-Schule (heute Ratsgymnasium) und die Johann-Konrad-Schlaun-Schule waren in Tegernsee untergebracht. Die "Kriegsheimat" der Mädchen-Oberschulen Annette-, Stein- und Bispinghof- (= Marien-) Schule war Reit im Winkl. Die beiden Mittelschulen zogen nach Bad Reichenhall um.
Kinder wollten nach Hause
Die ehemaligen Volksschulen dagegen wurden nicht geschlossen verlegt. Man brachte die Mädchen und Jungen sowohl in Gastfamilien als auch in Lagern unter. In vielen Fällen gab es wiederholte Lagerwechsel, wobei Klassen auseinandergerissen und Geschwisterpaare getrennt wurden. Ein Lagerlehrer berichtete darüber an die Aufsichtsbehörde in Münster: "Dauernd sieht man die Kinder weinen. Sie wollen nach Hause."
Auch über Tagesablauf, Kontakt zum Elternhaus, Urlaubsregelung, Elternbesuche, diverse Kriegseinsätze und das Verhältnis zu den Einheimischen finden sich detaillierte Darstellungen in den einzelnen Kapiteln des Buches "Kinderlandverschickung".
Da auch die Kirche die Jugendarbeit als einen zentralen Bereich betrachtete, war ein Zusammenstoß mit dem Regime vorprogrammiert. Das beschreibt der Autor am Beispiel der äußerst kritischen Stellungnahmen des Bischofs Graf Galen oder der Diskriminierung der mitentsandten katholischen und der evangelischen Religionslehrer.
Lehrer sorgten mit Geschick für ihre Schützlinge
Im Schlusskapitel geht es um die Auflösung des KLV-Systems und die Rückführung der Kinder und Jugendlichen. Nach dem ersehnten Ende des Krieges blieben die münsterschen KLV-Lehrer und Lehrerinnen nicht nur alle bei den Kindern - was nicht überall der Fall war -, sondern verteidigten Unterkunft und letzte Habe Ihrer Schützlinge, erbettelten die notwendigsten Lebensmittel und bezahlten in manchen Fällen die Verpflegungskosten einstweilen aus eigener Tasche.
Um die Rückführung der Kinder bemühten sich sofort nach der Kapitulation Bischof Graf Galen, der Caritasverband und die Innere Mission, bald auch die Stadt Münster und die kommissarische Provinzialregierung. Am erfolgreichsten waren jedoch die Lehrerinnen und Lehrer vor Ort, die mit Beharrlichkeit, Geschick und manchmal auch mit List und den Einsatz von guten Beziehungen den Rücktransport ihrer Schülergruppen improvisierten.