(SMS) Der Preis für Europäische Poesie der Stadt Münster geht 1999 an den "Nestor der rumänischen Avantgarde" und dessen Übersetzer: Gellu Naum (Bukarest) und Oskar Pastior (Berlin) erhalten die mit insgesamt 30 000 Mark dotierte Auszeichnung. Den beiden wird der Preis für den jüngst erschienenen zweisprachigen Gedichtband "Rede auf dem Bahndamm an die Steine" (Amman Verlag, Zürich) zuerkannt.
"Eine selten glückhafte Verbindung", urteilte die mit Autoren und Literaturkritikern besetzte Jury. "Beide sind poetische Transit-Reisende, beide sind Dichter und Übersetzer". Naum/Pastior sind die vierten Träger eines Preises, der für ein dichterisches Werk und seine eigenständige Übersetzung alle zwei Jahre in Münster vergeben wird.
"Die Poesie abschütteln, indem man Poesie macht" - unter diesem Motto steht das gesamte dichterische Werk des 83jährigen Gellu Naum. "Er hat", so urteilt die Jury, "eine unkonventionelle Poetologie entwickelt, die totale Eigenständigkeit beansprucht, alles tradiert Poetische ablehnt". Der große alte Mann der europäischen Poesie begreife Dichtung als "radikal individuelle Ausdrucks-, Erkenntnis- und Seinsweise".
Die Gedichte des letzten lebenden Surrealisten seien "durch und durch poetische Aneigungen der Welt".
Zeitlebens bedrängt und zensiert hat Gellu Naum zahlreiche Gedicht-, Prosa- und Kinderbücher geschrieben, Theaterstücke und Marionettenspiele verfaßt und Werke u.a. von Diderot, Kafka und Beckett ins Rumänische übertragen. Er ist in den 40er Jahren führender Kopf der surrealistischen Bewegung in Bukarest. 1947, nach der kommunistischen Machtergreifung, wird die Gruppe verboten und mit Publikationsverbot belegt. Erst 1968 kann wieder ein Band ("Athanor") von Naum erscheinen.
Als der aus Rumänien stammende Deutsche Oskar Pastior (Jahrgang 1927) im Jahre 1969 Rumänien verläßt, hat er eben diesen Gedichtband im Gepäck. Es sollte ein Schlüsselwerk für ihn werden - 30 Jahre begleitet Pastior - "als Dichter ein Sprach-Alchemist von hohen Gnaden" (Jury) - das Werk von Gellu Naum. In der Preisbegründung heißt es weiter: "Bei seinem Zwiegespräch mit Gellu Naum ist ihm, dem übersetzenden Dichter, eine Gratwanderung gelungen: mit absolutem Gehör und Einfühlungsvermögen sich in den Dienst eines anderen stellen - ohne sich selbst doch ganz zu verleugnen". Entstanden seien so "getreue Übertragungen, in denen - zwischen den Zeilen - dennoch etwas von dem unverwechselbaren Pastior-Tonfall mitklingt".
Der Poesiepreis wird im April nächsten Jahres beim Lyrikertreffen in Münster verliehen. Pastior wird dann nicht zum ersten Mal zu Gast sein: 1995 hatte er die Laudatio für die Dänin Inger Christensen und ihren Übersetzer Hanns Grössel gehalten - es waren die damaligen Träger des Poesiepreises.
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Pressemitteilungen
07.10.1998