Ort der Handlung: das Sozialamt im Stadthaus II. Zeit: werktags, gegen 14 Uhr. Ein junger Mann klopft ans erstbeste Büro, öffnet die Tür und fragt vorsichtig: "Dürfte ich Sie um einen außergewöhnlichen Gefallen bitten?" Der so angesprochene Mitarbeiter der Stadtverwaltung vermutet zunächst, daß hier ein Kunde außerhalb der Sprechzeiten bedient werden möchte. Als der junge Mann sich dann aber erkundigt, ob man ihm eine Krawatte binden könne, fällt der Verdacht schnell auf eine gewisse Fernsehsendung und eine versteckte Kamera.
Weit gefehlt: Für einen Termin im Fotostudio hatte sich der Besucher kurzfristig mit neuer Oberbekleidung eines Herrenausstatters eingedeckt. Erst vor der Kamera wurde ihm bewußt, daß er die filigrane Kunst des Krawattenbindens nicht beherrscht. Die Fotografin, ebenfalls ohne Fachkenntnisse, wies ihn darauf hin, daß möglicherweise einer der Bediensteten im nahegelegenen Stadthaus II behilflich sein könne. Ein wenig erfolgversprechender Tip, denn die meisten der dort arbeitenden Herren sind keine Schlipsflechtkünstler, sondern bevorzugen eher "halsfreie" Kleidungsvarianten.
Der Ratsuchende aber hatte Glück. Er erwischte sofort eines der seltenen Exemplare aus der Gattung der Träger des seidigen Geschmeides. Der Beamte - ein wenig aus der Übung und ohne die helfenden Hände seiner Gattin - brauchte fünf Versuche, bis ein trag- und fotografierfähiger Knoten erstellt war. Zufrieden und überaus dankbar verabschiedete sich der junge Mann. Daß die Dienstleistungspalette des Sozialamts nach dieser gelungenen Premiere um ein regelmäßiges "Binder-Angebot" erweitert wird, ist angesichts dringlicherer Aufgaben allerdings eher unwahrscheinlich.