Münster (SMS) Münsters Haushaltssituation ist angespannt: Mit einem Defizit von 45,7 Millionen Euro plant die Stadtverwaltung derzeit für das Haushaltsjahr 2016. "Um das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts noch aufrecht erhalten zu können, müssen Rat und Verwaltung gemeinsam einen Kraftakt leisten und nachhaltige Sanierungsmaßnahmen umsetzen", mahnt Stadtkämmerer Alfons Reinkemeier. Bei der Einbringung des Haushaltsplanentwurfs 2016 in den Rat machte auch Oberbürgermeister Markus Lewe den Konsolidierungsbedarf deutlich: "Wir stehen vor einer großen Herausforderung, um für Münster als wachsender Stadt den finanziellen Handlungsspielraum zu erhalten."
Ausgeglichener Haushalt 2020 kaum mehr erreichbar
Die Stadt erwartet für das Jahr 2016 Erträge in Höhe von 1,003 Milliarden Euro. Demgegenüber stehen Aufwendungen von 1,049 Milliarden Euro. Zu dem Defizit im Jahr 2016 kommen 2017 bis 2019 jährlich Defizite zwischen 20 und 25 Millionen Euro hinzu. Das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts im Jahr 2020 ist mit der aktuellen Haushaltspolitik kaum mehr erreichbar. Zwar weisen die Jahresabschlüsse 2013 und voraussichtlich 2014 erstmals seit 2008 wieder Überschüsse aus, allerdings sind diese auch auf die Konsolidierungsmaßnahmen der letzten Jahre zurückzuführen. Deshalb wird es auch in Zukunft erforderlich sein zu konsolidieren, damit wir auch weiter zu den wenigen Großstädten in Nordrhein-Westfalen gehören, die noch aus eigener Kraft handeln können.
Vermeidung der Haushaltssicherung
Der finanzielle Spielraum bis zum Überschreiten der Schwellenwerte, die ein Haushaltssicherungskonzept erzwingen, ist massiv eingeengt. In 2016 wird nach derzeitiger Planung die Ausgleichsrücklage von 38,6 Millionen Euro aufgebraucht. Deshalb muss 2016 noch in Höhe von 7,1 Millionen Euro auf das Eigenkapital für den sogenannten "fiktiven Haushaltsausgleich" zurückgegriffen werden. Um die Haushaltssicherung zu vermeiden, darf bei einem defizitären Haushalt das verbleibende Eigenkapital ("Allgemeine Rücklage") in zwei aufeinander folgenden Jahren nicht um fünf Prozent oder mehr abgebaut werden.
Diese kritischen Schwellenwerte zur Aufstellung eines Haushaltssicherungskonzeptes werden in den Jahren ab 2017 bereits bei einer Erhöhung der jährlichen Defizite um 7,4 bis 9,6 Millionen Euro erreicht. Bei einem Haushalt von rund 1 Milliarde Euro - Tendenz steigend - beträgt der finanzielle Spielraum damit weniger als ein Prozent, um Verschlechterungen aus der laufenden Haushaltsbewirtschaftung oder durch einen Nachtragshaushalt aufzufangen, ohne in eine Haushaltssicherung zu fallen. Das zeigt den grundlegenden Handlungsbedarf, insbesondere vor dem Hintergrund von Unsicherheitsfaktoren wie steigender Kosten für Flüchtlinge.
Kosten für die Flüchtlingsunterbringung und -versorgung
Münster beherbergt derzeit 3400 Flüchtlinge, davon 930 in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes (Stand: 8. September). Die Kosten für die Unterbringung und Versorgung der zugewiesenen Flüchtlinge werden lediglich zu etwa 25 Prozent vom Land Nordrhein-Westfalen erstattet. "Nach aktuellen Gesetzesänderungen werden für die Erstattungen des Landes zwar immerhin aktuellere Flüchtlingszahlen zugrunde gelegt. Dennoch bleibt eine substanzielle Erhöhung der Kostenerstattung bislang aus", so Stadtkämmerer Reinkemeier.
"Die Kommunen leisten einen finanziellen Kraftakt, der vielerorts die Möglichkeiten übersteigt. Bund und Länder müssen sich dringend stärker an den Kosten für die Flüchtlingsunterbringung beteiligen", fordert Oberbürgermeister Lewe Bund und Länder auf, ihren Ankündigungen Taten folgen zu lassen. Allein im laufenden Jahr werden die Aufwendungen für Flüchtlinge in Münster mehr als 18 Millionen Euro betragen. Nach aktueller Prognose führt dies nach Abzug von Landeszuweisungen und Entlastungsmitteln des Bundes zu einer Nettobelastung der Stadt von 13,75 Millionen Euro. Wie sich die Situation in den verbleibenden Monaten 2015 entwickeln wird, ist derzeit kaum absehbar. Dies gilt umso mehr auch für das Haushaltsjahr 2016.
Handlungsspielraum erhalten
Um den finanzpolitischen Handlungsspielraum dennoch zu erhalten, schlägt die Verwaltung eine systematische Aufgabenkritik vor. In enger Abstimmung sollen Rat und Verwaltung in einem strukturierten und extern moderierten Prozess hinterfragen, welche freiwilligen kommunalen Aufgaben - zumindest teilweise - entfallen könnten. Bei Pflichtaufgaben wird geprüft, ob Art und Umfang der kommunalen Leistung vorgegeben sind. Falls die Stadt die Mindeststandards übererfüllt, sind Kürzungen geplant. "Um den Haushalt nachhaltig zu sanieren, müssen wir unsere hohen Standards hinterfragen", ruft Reinkemeier zur Aufgabenkritik auf.
Sofortmaßnahmen
"Neben der langfristigen Haushaltssanierung müssen wir auch kurzfristig die übrigen Einnahmen und Ausgaben in den Blick nehmen und kritisch überprüfen", mahnt Oberbürgermeister Lewe auch Sofortmaßnahmen an. Zehn kurzfristig wirkende Vorschläge bringen Lewe und Reinkemeier in den Rat ein:
1. Haushaltsbelastende Maßnahmen sind - soweit es sich nicht um Pflichtaufgaben oder priorisierte Schwerpunktbereiche handelt (wie: Schaffung von Wohnraum oder Maßnahmen zur Kinderbetreuung, Bildung, Flüchtlinge, Sicherheit) - zeitlich nach hinten zu schieben. Haushaltsentlastende Maßnahmen sind prioritär vorzuziehen bzw. zu beschleunigen.
2. Die Anhebung von Zuschüssen für freiwillige Leistungen ist besonders zu begründen.
3. Aufgrund der positiven Erfahrungen der Darstellung und Realisierungsmöglichkeiten durch eine "Reduktionsvariante" bei Investitionen sind auch im konsumtiven Bereich von der Verwaltung Wege aufzuzeigen, ob und wie Leistungen (auch durch Einschränkungen und Absenkung von Standards - auch im Personalbereich) bei bis zu 20 Prozent Kosteneinsparungen erreicht werden können.
4. In jeder Ratsvorlage ist anzugeben, inwieweit es sich um eine Pflicht- oder freiwillige Leistung handelt und mit welchem Betrag auch bei Pflichtleistungen unterschiedliche Varianten erbracht werden können.
5. Kostenüber- und -unterschreitungen bei Projekten und Bauprojekten im Vergleich zum Haushaltsansatz werden nach Ablauf des Jahres in einem gesonderten Bericht dargestellt.
6. Von der Investitionspauschale des Landes wird zirka 1 Million Euro zur Deckung der Aufwendungen / Abschreibungen für Geringwertige Wirtschaftsgüter verwendet.
7. Im Sinne der Nachhaltigkeit soll ein Konzept für die realen Vorsorgebedarfe zur Finanzierung zukünftiger Pensionsverpflichtungen durch Anlage entsprechender Gelder geprüft und aufgezeigt werden (Kapitalanlagemodell / Versicherungsmodell).
8. Die städtischen Gesellschaften sollen auf strukturelle Konsolidierungsmöglichkeiten, insbesondere hinsichtlich der Kostenstruktur überprüft werden.
9. a) Kostensteigerungen in Gebühren- und Entgeltbereichen werden zukünftig unter grundsätzlicher Beibehaltung der jeweiligen sozialen Staffelungen an die Nutzerinnen und Nutzer weiter gegeben.
b) Zusätzlich soll im Einzelfall geprüft werden, ob eine darüber hinausgehende Kostendeckung durch eine zeitlich begrenzte Aufrundung zu glatten Beträgen zugunsten des Haushalts erfolgen kann.
10. Für beispielhafte neue Kooperationsprojekte innerhalb der Stadtgesellschaft (etwa zwischen Vereinen, Verbänden oder freien Trägern), mit denen Kosten in allen Bereichen der städtischen Daseinsvorsorge deutlich und dauerhaft gesenkt werden können, wird ein Preis ausgelobt. Dafür stehen bis zu 1000 Euro je Einzelfall, insgesamt bis zu 10 000 Euro zur Verfügung. Über die Prämierung entscheidet der Haupt- und Finanzausschuss.