14.05.2010
Litauen, ungeschminkt
Ausstellung "Fokus Litauen – Meisterwerke der Schwarz-Weiß-Fotografie seit 1960“ bis Anfang Oktober im Stadtmuseum
(SMS) Eindrucksvoll, feinsinnig, bisweilen leicht ironisch oder brutal deutlich und gar nicht romantisierend – das münstersche Stadtmuseum zeigt in seiner aktuellen Ausstellung, die am Sonntag, 16. Mai, um 16 Uhr eröffnet wird, 160 Meisterwerke in schwarz-weiß von elf litauischen Fotografen. Die Bilder liefern einen repräsentativen Querschnitt durch die Fotografie des baltischen Landes seit den 1960er Jahren und blättern dabei ein halbes Jahrhundert litauischer Geschichte und Befindlichkeit auf.
Die Fotografieszene in Litauen ist heute außerordentlich lebendig, und sie war schon zu Sowjetzeiten die bedeutendste auf dem Gebiet der ehemaligen Weltmacht. Das zeigt die gemeinsame Präsentation von Künstlern verschiedener Generationen. Neben den Klassikern der Litauischen Fotoschule der 1960er und 70er Jahre wie Antanas Sutkus, Aleksandras Macijauskas und Algimantas Kuncius bekommen die Fotografen der nachfolgenden Generation ihren Raum. Die Jüngeren kennen die Positionen der Klassikergeneration. Sie wählen jedoch ihren Stil im Medium frei wie der Architekturfotograf Kestutis Stoskus, oder sie greifen bewusst zum Stilmittel der Monochromie, wenn sie zum Thema passt, wie Arturas Valiauga. Damit weiten sie den Blick unter dem Oberthema Schwarz-Weiß-Fotografie.
"Das Ziel unserer Ausstellung ist", formuliert die Leiterin des Stadtmuseums Dr. Barbara Rommé, "diese fotografischen Meisterwerke einem breiten Publikum nahezubringen. Wir zeigen hier erstmals in einer Ausstellung auf deutschem Boden die Potenziale der gegenwärtigen Kunst in Litauen unter dem Vorzeichen einer produktiven Konkurrenz zu den klassischen Vorbildern."
Die Menschen, die dunkle Seite der litauischen Seele unter dem Joch der Sowjetherrschaft, das Sozialgefüge am sonntäglichen Strand, der Umgang mit der Zeit, Alkoholismus auf den Dörfern – dies sind nur einige der Themenkomplexe, denen sich die elf gezeigten Fotografen widmen. Im übrigen Europa waren die Arbeiten der litauischen Künstler hinter dem Eisernen Vorhang lange kaum bekannt. Erst nach der Auflösung der Sowjetunion und noch stärker nach der Aufnahme Litauens in die EU im Jahr 2004 drang der Ruhm der Fotoschule von Vilnius nach Mitteleuropa.
Bemerkenswerterweise ist die Szene im kaum mehr als drei Millionen Einwohner zählenden Litauen auch nach der Bestätigung ihrer Klassiker nicht erstarrt. Sie hat sich vielmehr auf hohem ästhetischen Niveau und in großer Vielfalt konstant weiterentwickelt. Beeindruckend sind die Intensität und die Freiheit des künstlerischen Blicks: Offenbar ziemlich unbeeindruckt von den Zwängen des sowjetischen Regimes haben die Künstler es geschafft, ihren Weg zwischen Zensur und Kompromissnotwendigkeit zu finden und ihre unausgesprochenen Botschaften zu vermitteln. Keiner Fotografie haftet das Etikett sozialistischer Realismus an, wenn auch die Umgebung der Menschen die Andersartigkeit des Lebens offenbart.
Die Ausstellung im Stadtmuseum bietet einen spannungsreichen Bogen von den Bildikonen Alexandras Macijauskas' (geb. 1938) über die eigenwilligen und grotesk wirkenden Bilder von Rimaldas Viksraitis (geb. 1954) bis zu den konzeptuellen Arbeiten von Gintautas Trimakas (geb. 1958). Zu sehen sind außerdem Bilder von Algimantas Kuncius (geb. 1939), Alfonsas Budvytis (1949-2003), Kestutis Stoskus (geb. 1951), Vytautas Balcytis (geb. 1955), Alvydas Lukys (geb. 1958), Algimantas Aleksandravicius (geb. 1960) und Arturas Valiauga (geb. 1967). Antanas Sutkus (geb. 1939) ist und war der wichtigste Protagonist der Szene. Er gründete den Fotoverein Vilnius, er ist der Dreh- und Angelpunkt der litauischen Fotografie mit seiner eigenen Sammlung und dem Galeriebetrieb, der den künstlerischen Austausch damals erst ermöglichte.
Die Ausstellung "Fokus Litauen" gehört zu den Aktivitäten von "Kulturgebiet", einer Veranstaltungsreihe, die anlässlich der Kulturhauptstadt Ruhr 2010 in Münster einen eigenen kulturellen Akzent setzt. Die Präsentation konnte nur durch das Engagement der Hauptsponsoren – der Sparkasse Münsterland Ost und der Kulturstiftung der Provinzial – verwirklicht werden.
Begleitend zur Ausstellung liegt ein 140-seitiger Katalog vor. Der einführende Text von Raminta Jurenaite, Professorin an der Kunstakademie in Vilnius und beste Kennerin der litauischen Fotografie, erläutert die Entwicklung der litauischen Fotoszene. So zeigt der Katalog für 18,50 Euro ein beeindruckendes Kaleidoskop der litauischen Fotografie von den 1960er Jahren bis heute. Die Ausstellung ist bis zum 3. Oktober im Stadtmuseum an der Salzstraße zu sehen.
Fotos:
1. Algimantas Kuncius, Aus der Serie "Am Meer", 1965. Foto: Veröffentlichung mit dieser Pressemitteilung honorarfrei.
2. Antanas Sutkus, "Auf Wiedersehen, Parteigenossen", 1991. Foto: Veröffentlichung mit dieser Pressemitteilung honorarfrei.
3. Alexandras Macijauskas, Aus der Serie "Tierklinik", 1978. Foto: Veröffentlichung mit dieser Pressemitteilung honorarfrei.
4. Algimantas Aleksandravicius, "Der Schauspieler Aleksandr Kalyagin", 2003. Foto: Veröffentlichung mit dieser Pressemitteilung honorarfrei.