Ungewöhnliche Fallstudie
Markus Schinwald entwirft eine ungewöhnliche Fallstudie des Menschen am Anfang des 21. Jahrhunderts. Der in Salzburg geborene bildende Künstler zeigt einen zunächst harmlos wirkenden Wahrnehmungskorridor. Wenn sich die Türen des Aufzugs in der fünften Etage der Ausstellungshalle öffnen, beginnt für den Besucher eine sonderbare Reise: Die digital bearbeitete Panoramawand lockt ihn in die Baumkronen einer romantischen Waldlandschaft. Doch dahinter lauert ein L-förmiger Korridor, der den Besucher in eine doppeldeutige Bildwelt verwickelt.
Restaurierte Biedermeierporträts zeigen rätselhafte Mutationen und verfremden die Gesichter der historischen Ahnenreihe. Mit der Gesichtshaut verschweißte Prothesen aus Seidenspitze oder maskenhaftes Verbandmaterial verweisen auf möglicherweise unbekannte oder längst vergessene Krankheitsbilder und ihre unangenehmen Therapieformen. Fantastische Marionetten sitzen oder stehen auf einer ferngesteuerten Schaukel, dahinter läuft eine Uhr, die die Länge des Tages auf 22 Stunden verteilt. Der Besucher bleibt nicht verschont: Hat er sich einmal auf den Kunstraum eingelassen, beginnt der Tanz gegen die eigene Instabilität, denn das Innere des Kunstkörpers ist "weich".
Architektur in der Architektur
Markus Schinwald hat hier eine ungewöhnliche Ausstellungsarchitektur für das kürzlich im Open Space auf der Art Cologne gezeigte Video "1st Part Conditional, 2004, 35mm/DVD, Dur. 3 min." entworfen. Der Titel, das "If - für den Fall dass, …" verweist auf die experimentelle Versuchsanordnung dieser Phänomenologie eingeengter Körperlichkeit, die nach Strategien der Befreiung sucht.
Schinwald sucht dabei das psychologisch Aufgeladene und Geheimnisvolle, das unter der Oberfläche des Alltäglichen lauert. Die animierten Kunstkörper geben dem Besucher Rätsel auf und lassen ihn nach der Ursache dieser und anderer Deformationen fragen. Das Video zeigt eine Tänzerin, ihre Doppelgängerin und einen Voyeur. Poetische Textfragmente unterstützen den Eindruck, dass die Zeichen, die die Figuren austauschen, gleichermaßen zum Verständnis wie zum Missverständnis führen.
Die Bewegungen der Tänzerin und die "körperliche" Traurigkeit des Voyeurs werden zu Signaturen extremer psychischer Anspannung. Das viktorianische Interieur hält der Wucht der Emotionen nicht stand. Es bricht in sich zusammen. Oder ist alles doch ganz anders? Die Sprache der magisch verbundenen Körper ist doppeldeutig - und sie bedient sich einer phänomenologischen Bildsprache: Die Seele "wohnt" im Körper, sie träumt sich in die Freiheit und kehrt wieder in den Körper zurück. Denn wirkliche Erfahrung muss wieder zurück - unter die Haut.
Biographie
Markus Schinwald wurde 1973 in Salzburg geboren. Der in Wien lebende Künstler hat an zahlreichen internationalen Ausstellungen teilgenommen: "Tableau Twain" (Frankfurter Kunstverein in Kooperation mit dem Siemens Arts Program, 2004, Einzelausstellung), Manifesta 5 (San Sebastian, 2004), "Bewitched, Bothered and Bewildered" (migros museum für gegenwartskunst, Zürich, 2003), "Utopia Station" (50. Biennale Venedig, 2003), "Adorno: Die Möglichkeit des Unmöglichen" (Frankfurter Kunstverein, 2001), "Untragbar - Mode als Skulptur" (Museum für angewandte Kunst, Köln, 2001), "Expanded Design" (Kunstverein Salzburg, 1999). 2006 ist eine Einzelausstellung im Institute of Contemporary Arts (ICA), London geplant.