Schriftquellen zu Stadtwerdung Münsters sind rar. Brände im 12. Jahrhundert vernichteten fast alle frühen Quellen. Umso wichtiger sind die wenigen erhaltenen Dokumente. "Die Biografien des heiligen Liudger haben nicht nur für die Stadtgeschichte Münsters, sondern auch für die Geschichte des Bistums Münster große Bedeutung", unterstreicht Museumsdirektorin Dr. Barbara Rommé. Dank des virtuellen Faksimilies der so genannten "Vita secunda" sei die Lebensgeschichte des Missionars, Gelehrten, Bischofs, "Stadtgründers" und späteren Heiligen nun einer breiten Öffentlichkeit zugänglich.
Eine erste Biografie (Vita prima) schrieb Liudgers Nachfolger, Bischof Altfrid, um 846/847 im Kloster Werden. Offenbar bestand bei den Mönchen der Wunsch nach einer weiteren, inhaltlich überarbeiteten Vita des verehrten Heiligen. Diese Vita secunda entstand um 850/855 ebenfalls in Werden aus der Feder eines anonym gebliebenen Mönches. Ihr Text bildet die Grundlage der jetzt digitalisierten Handschrift um 1100. Nach der Säkularisation gelangte die Schrift in das Gymnasium Paulinum nach Münster, von dort 1823 in die Königliche Bibliothek zu Berlin. Die Animation hat ihren Platz im Stadtmuseum im Kabinett "Von der Domburg zur Stadt". Direkt unter der wandfüllenden Ansicht der Bischofsweihe Liudgers und unmittelbar neben dem gebundenen Faksimilie lädt der Bildschirm auf einem stilisierten mittelalterlichen Lesepult ein, sich virtuell in die Lebensstationen des viel gereisten Gelehrten zu vertiefen.
Mit einer 900 Jahre alten Handschrift arbeiten
Bei der Umsetzung des Projektes hat das Stadtmuseum sämtliche Register gezogen - wissenschaftlich wie technisch. "Es gibt inzwischen einige Faksimiles von mittelalterlichen Handschriften. Aber keines bietet so vielfältige Möglichkeiten zum Selbststudium", unterstreicht Dr. Bernd Thier den hohen Nutzwert. Schon jetzt hat eine Hochschule angekündigt, die entsprechende CD-Rom in Vorlesungen einsetzen zu wollen. Die digitale Aufarbeitung ist wissenschaftlich auf hohem Niveau und dennoch verständlich aufbereitet. "Zum ersten Mal", führt der wissenschaftliche Mitarbeiter weiter aus, "können Experten wie interessierte Laien mit dieser 900 Jahre alten Handschrift arbeiten".
Dafür sorgt neben einer kinderleichten Navigation nicht zuletzt die Übersetzung: Beide Fassungen - lateinisch und deutsch - sind abrufbar. Schon vor Jahren hat der Historiker Prof. Eckhard Freise Satz für Satz die Transkription geleistet. Hilfreiche Dienste bietet ein Stichwortregister, das den suchenden Leser direkt in die Textpassagen führt. Immer wieder, bis ins 19. Jahrhundert wurde die Handschrift ergänzt. Auch diese Ergänzungen werden dem Leser von heute erläutert. Bildminiaturen mit Detailinformationen hinterlegt Von besonderer Aussagekraft sind 23 Bildminiaturen. Von Bild zu Bild – jedes ist per Maus vergrößerbar – fügen sich die Stationen des Missionars von europäischem Zuschnitt zu einer Gesamtschau. Sie reicht von der Jugend und Ausbildung über die Bischofsweihe bis zu den Wundertaten. Alle Miniaturen sind überdies elektronisch mit wissenswerten Detailinformationen unterlegt.
Im neu gestalteten Kabinett bilden die Handschrift und ihr digitales Doppel einen Glanzpunkt. Umgeben sind sie von weiteren Objekten, die das Leben und Wirken des Stadtgründers beleuchten. So erinnern Repliken wie Liudgers Reisekelch, eine Schmuckdose aus Elfenbein und ein Reliquienkasten aus dem späten 8 Jahrhundert an den ersten Bischof von Münster.
Unterstützt wurde die Animation vom Förderverein Münster-Museum, LVM Versicherungen, Erdgas Münster und der Volksbank Münster. Das virtuelle Faksimile auf DVD für den PC hält der Museumsshop für 19,95 Euro bereit.