Münster (SMS) „Kleinrentner protestieren gegen die sozialen Folgen der hohen Inflation!“ Das ist keine aktuelle Schlagzeile, sondern sie findet sich in einer gut 100 Jahre alten Akte der Armenkommission Münster. Die schriftlichen Unterlagen dieser ehrenamtlich arbeitenden Organisation hat das Stadtarchiv Münster digitalisieren lassen und über das Internet zugänglich gemacht.
Die Versorgung von Armen und Kranken ist ein Kernthema in der Stadt - schon seit dem Mittelalter. Bevor der Staat die Daseinsfürsorge zu seiner Aufgabe machte, stifteten vermögende Bürgerinnen und Bürger Armenhäuser und Hospitäler, die einer klar begrenzten Zahl Bedürftiger Unterstützung boten. An der Wende zum 19. Jahrhundert stieß dieses System in der immer schneller wachsenden Stadt an seine Grenzen.
Das Vermögen der Einzelstiftungen verwaltet deshalb in preußischer Zeit eine Armenkommission. Immer wieder kam die Frage auf, wer Hilfe bekommen kann und wie mit zugezogenen Armen zu verfahren ist. Das zunächst selbstständig handelnde Gremium wurde mehrfach umorganisiert und enger mit dem städtischen Magistrat verbunden. In der Weimarer Republik übernahmen seit 1924 Wohlfahrtsämter die Verwaltung der Armenpflege – auch in der Stadt Münster.
325.000 Digitalbilder online
Das Stadtarchiv hat diesen spannenden Bestand 1990 auf Mikrofilm sichern lassen. Die Nutzung der Filme ist aus heutiger Sicht unkomfortabel, sodass sie das Stadtarchiv Ende 2022 mit Förderung des LWL-Archivamts für Westfalen digitalisieren ließ. Nun können Interessierte die über 325.000 Digitalbilder der 2272 Aktenbände online suchen und kostenlos einsehen. Das Stadtarchiv nutzt das Portal „Archive in NRW“ - online erreichbar unter www.archive.nrw.de/stadtarchiv-muenster.
"Der Armenkommission gehörten viele Grundstücke. Im Zuge der Stadterweiterung wurden diese Flächen oft für Verkehrs- und Bauprojekte verkauft. Viele Höfe waren zu regelmäßigen Abgaben verpflichtet. Die erhaltenen Unterlagen lassen umfangreiche Rückschlüsse auf die Familiengeschichte zu”, erklärt Archivleiter Peter Worm. Da die Armenkommission die Krankenhäuser verwaltete, erfährt man aus den Aufzeichnungen auch viel über damalige Patientinnen und Patienten, Personal, Inventar, Epidemien und den Verbreitungsgrad von Krankheiten. Viele weitere Themen vor allem der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte lassen sich anhand der Unterlagen ebenfalls erforschen.
„Jetzt lässt sich das alles vom heimischen PC aus aufrufen“, sagt Dr. Peter Worm. „Nur das Lesen der zumeist in deutscher Kurrentschrift verfassten Schriftstücke ist eventuell mühsam." Die Digitalisierung der Mikrofilme ist Teil der Digitalisierungsstrategie des Stadtarchivs. Während der Corona-Pandemie hat das Archiv darüber hinaus einen Scan-on-Demand-Service aufgebaut: Interessierte Profis und Laien können sich wünschen, welche Dokumente es kostenlos digital zugänglich machen soll - fast 900 Archivalien mit insgesamt rund 150.000 Scans waren es seit Frühjahr 2021. Zudem übernimmt das Stadtarchiv immer öfter Unterlagen, die von vornherein digital geführt wurden.
Foto: Die städtische Armenkommission unterstützte im Ersten Weltkrieg Familien und Kinder. Am Neutor schenkte sie in der „Kriegsmilchküche“ von Januar bis Oktober 1916 über 5000 Liter Milch an Kinder aus. Diese und weitere spannende Geschichten erzählt der neu digitalisierte Quellenbestand der Armenkommission. Foto: Stadtarchiv Münster. Veröffentlichung mit dieser Pressemitteilung honorarfrei.