01.07.1997

Zwinger erinnert eindrucksvoll an die Opfer von Gewalt in Münster

Skulptur von Rebecca Horn "Das gegenläufige Konzert" installiert

(SMS) Spätmittelalterliches Bollwerk, Festung, Pulverlager, Roßmühle, Gefängnis, Maleratelier, Kulturheim der Hitlerjugend und Hinrichtungsstätte der Gestapo: An den zahlreichen unterschiedlichen Funktionen des Zwingers im Laufe seiner Baugeschichte lassen sich viele wichtige Stationen münsterscher Historie festmachen. Sie reichen von den Anfängen der Stadtgeschichte im Mittelalter über die Wiedertäuferzeit, Münsters Ära als fürstbischöfliche Residenz, das 19. Jahrhundert und den Zeitraum zwischen den Weltkriegen im 20. Jahrhundert bis hin zum Dritten Reich. 1989 beschloß der Rat, den Zwinger zu restaurieren und zu einem Mahnmal umzugestalten, das "an die Opfer der Gewalt in Münster, an die Opfer der Kriegsgewalt und der Verfolgung Unschuldiger, besonders an die unmenschliche Strafjustiz und den Terror gegen politische Gegner, Angehörige von Minderheiten und Kriegsgefangene während des Nazi-Regimes" erinnern soll. Oberbürgermeisterin Marion Tüns übergab das restaurierte Gebäude jetzt seiner neuen Bestimmung.

Bereits nach dem Zweiten Weltkrieg erweckte die düstere Vergangenheit des durch Bomben zerstörten Zwingers immer wieder das Interesse der Bevölkerung, die Ruine als Mahnmal zu nutzen. Mehrere Künstlerwettbewerbe brachten kein Ergebnis; auch der Vorschlag, der Schriftsteller Heinrich Böll möge den Text für eine Gedenktafel formulieren, wurde nicht verwirklicht. Erst als die international renommierte Künstlerin Rebecca Horn ihre Installation Das gegenläufige Konzert im Inneren des halbverfallenen Zwingers für die Skulpturen-Ausstellung 1987 realisierte, wurde die Aufmerksamkeit wieder auf dieses Gebäude gelenkt. So war nur folgerichtig, daß diese Installation als eine der meist beachteten Arbeiten der Ausstellung von der Stadt Münster angekauft und als fester Bestandteil in die Gesamtkonzeption der Restaurierung einbezogen wurde.

Schwierige Restaurierungsarbeiten

Die Restaurierungs- und Instandsetzungsarbeiten stellten die Bauverwaltung vor gewaltige Herausforderungen. Ziel war, den Ruinencharakter im Zustand der Installation der Horn-Skulptur von 1987 zu erhalten und dabei gleichzeitig die Bausubstanz zu stabilisieren. Dazu war es erforderlich, zunächst für alle Bauteile des Zwingers raumweise eine kleinteilig genaue Kartografierung einschließlich aller Schäden und Materialien zu erarbeiten. Sie stellt heute und besonders auch für die Zukunft eine einzigartige Substanzermittlung dar.

Dann galt es, die Räume von Schutt zu säubern, absturzgefährdete Bauteile zu sichern und die gesamte Vegetation zu beseitigen. Anschließend mußten alle Pflanzen und Wurzeln dauerhaft aus dem Mauerwerk entfernt, die einsturzgefährdeten Bauteile und die Treppe instandgesetzt, Decken und Unterzüge saniert sowie das Mauerwerk und die Decken gegen eindringendes Wasser geschützt werden.

"Jedesmal, wenn ich vor diesem Bauwerk stehe, werde ich an die dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte und damit an meine Pflicht erinnert, mich für den Frieden und gegen Rechtsradikalismus einzusetzen", sagte Münsters Oberbürgermeisterin bei der Eröffnung. Während Landeskonservator Professor Dr. Eberhard Grunsky das Mahnmal als gelungene Symbiose von einem Kunstwerk und einem Zeugnis der historischen Stadtbefestigung wertete, gratulierte Professor Dr. Klaus Bußmann, Direktor des Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte, der Künstlerin und der Stadt Münster zu diesem "einmaligen Glücksfall". Für ihn sei die Installation Rebecca Horns eines der größten und intensivsten Erlebnisse der Skulpturenausstellung 1987 gewesen.

Das gegenläufige Konzert

Die Künstlerin hatte ihre Arbeit Das gegenläufige Konzert 1987 für den Zwinger in seinem ruinösen Zustand konzipiert. "An dem Werk der Künstlerin ist das ausgeprägt symbiotische Verhältnis zwischen Kunstwerk und Entstehungsort außergewöhnlich", beschreibt Münsters Kulturdezernentin Helga Boldt die Installation. Die Erfahrungen und Erinnerungen, die dieser Ort berge, aber auch den scheinbaren Verfall des Gebäudes mit der Überwucherung durch die wachsende Natur, habe Rebecca Horn zu einer essentiellen Aussage verwandelt.

An den Wänden der fast spiralartig verlaufenden Gänge sind 42 Metallhämmer befestigt, deren rhythmisches Ticken die Stille des Ortes durchdringt. Rote Lichter flackern in einer sonst beklemmenden Finsternis. Auf dem Weg ins Innere befindet sich in einer Nische ein Ei, gehalten von zwei schlangenartigen Gestalten, die bei Berührung funkensprühend aufleuchten. Im tiefsten Inneren des Zwingers tropft von weit oben - wie vom Himmel kommend - regelmäßig Wasser aus einem Trichter herab, das in eine dunkle Zisterne zwölf Meter tief in einen Schacht fällt. "Rebecca Horns Eingriffe in die Räume des Zwingers versetzen den Besucher in ein Wechselbad der Gefühle und wecken sowohl beklemmende Erinnerungen an eine brutale Vergangenheit als auch Empfindungen für die Schönheit von Naturphänomenen", sagt Helga Boldt, "Vergangenheit und Gegenwart treffen sich als gegenläufiges Konzert sozusagen simultan."