Rund 6000 Familien lebten in Münster, die nur einen Elternteil hätten, Tendenz steigend. "Auch wenn in der Stadt die begleitenden Hilfen vielfältig und die Angebote zur Kinderbetreuung im Stadtevergleich überdurchschnittlich hoch sind, brauchen Familien den besonderen Schutz der Gesellschaft," betonte Marion Tüns.
"Wir möchten die Situation von Alleinerziehenden im Erziehungsurlaub transparent machen und Veränderungen einfordern", betonte Karin Groh, stellvertretende Frauenbeauftragte bei der Stadt Münster, die zusammen mit dem Arbeitskreis die Tagung veranstaltete. Da es sich beim Erziehungsgeld und bei der Sozialhilfe um Gesetze handelt, die nur in Bonn verändert werden können, suche man das Gespräch mit den Politikern.
Frauen, die aufgrund von Kindererziehung keiner Berufstätigkeit nachgehen können, ständen häufig vor der Situation, Sozialhilfe zu beantragen, führte Sigrid Femi vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter in das Thema ein. Auch berufstätigen und ledigen Frauen bleibe oft nur die Sozialhilfe, da sie und ihr Kind vom Erziehungsgeld nicht leben könnten.
Femi wies auf die besonders schwierige Situation von schwangeren und alleinerziehenden Studentinnen hin. Diese hätten keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Der "Arbeitskreis Alleinerziehende" kritisiere seit langem, daß Frauen einerseits ermutigt würden, Kinder auszutragen, ihnen andererseits aber zugemutet werde, zum "Sozialfall" zu werden. "Da Erziehungsarbeit eine wertvolle gesellschaftliche Leistung ist, fordern wir ein existenzsicherndes Erziehungsgehalt."
"Für 600 Mark bleibt kein Mann zuhause"
Unter dem Titel "10 Jahre Erziehungsurlaub - was hat es uns gebracht?", resümierte Diplomsoziologin Dr. Gunhild Gutschmidt (Marburg) über das Gesetz zur Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (Bundeserziehungsgeldgesetz). Es beeinflusse mehr als jede andere gesetzliche Maßnahme die Situation junger Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Theoretisch hätten auch Väter das Recht, Erziehungsurlaub zu nehmen. "Da der Gesetzgeber aber bewußt darauf verzichtet hat, Vätern einen individuellen Anspruch auf Erziehungsurlaub einzuräumen, sondern dem Elternpaar ein Gesamtzeitbudget von drei Jahren zur Verfügung stellt, wurde das Gesetz zum Frauengesetz."
Rita Süßmuth, ehemalige Familienministerin, habe damals nach Inkrafttreten des Gesetzes festgestellt: "Für 600 DM bleibt doch kein Mann zuhause." Vom Gesetzgeber sei vergessen worden, daß es Frauen gibt, die ohne das feste Einkommen eines Ehemannes leben müßten. Nichtverheirateten Müttern werde zwar Sozialhilfe gewährt. Sie bezahlten dafür aber einen hohen Preis, wies Gutschmidt auf die Stigmatisierung als ´sozial schwache` Gruppe hin. "Da das Erziehungsgeld Frauen entweder vom Partner oder vom Sozialamt abhängig macht, muß es durch Lohnersatzleistung ersetzt werden und nicht mehr nur Taschengeld sein."
"Erziehungsgehalt 2000"
Diplompädagoge Dr. Michael Opielka vom Institut für Sozialökologie (Bonn) stellte sein Modell "Erziehungsgehalt 2000" vor: Bisher werde die für das Gemeinwesen unverzichtbare Erziehungsarbeit meist von Frauen unbezahlt zu Hause geleistet. Diese würden dabei ein hohes wirtschaftliches und soziales Risiko eingehen. Ihre Arbeit würde gesellschaftlich kaum anerkannt. "Wenn aber Erziehungsarbeit gesellschaftliche Arbeit ist, müssen Erziehende vor Armut geschützt werden", betonte Opielka. Leitidee des Konzepts "Erziehungsgehalt 2000" sei die gleichwertige Honorierung von Erwerbsarbeit und Erziehungsarbeit. Eltern mit Kindern im Vorschulalter sollen, so die Forderung, für das erste Kind ein Erziehungsgehalt von 2000 Mark und jedes weitere Kind von 1000 Mark pro Monat erhalten. Für ältere Kinder solle weniger gezahlt werden.
Mit dem Thema "Erziehungsgehalt statt Sozialhilfe" setzt der Arbeitskreis Alleinerziehende seine Veranstaltungsreihe zur Verbesserung der Lebenssituation von Ein-Eltern-Familien fort. Der 1990 gegründete Arbeitskreis ist ein Zusammenschluß von über 20 Institutionen in kirchlicher, freier und städtischer Trägerschaft, der die Interessen von Ein-Eltern-Familien vertritt.