"Eine selten glückhafte Verbindung", so die mit Autoren und Literaturkritikern besetzte Jury. "Beide sind poetische Transit-Reisende, beide sind Dichter und Übersetzer", urteilten Renate Birkenhauer, Michael Braun, Harald Hartung, Joachim Sartorius und Norbert Wehr. Naum und Pastior sind die vierten Träger eines Preises, der in Münster seit 1993 alle zwei Jahre für ein dichterisches Werk und seine eigenständige Übersetzung vergeben wird. So ist der Poesiepreis weder ein klassischer Literaturpreis, noch ein reiner Übersetzerpreis. Das Besondere liegt in der Verbindung - würdigt er doch das Fortleben des lyrischen Werkes in einer anderen Sprache.
"Die Poesie abschütteln, indem man Poesie macht" - unter diesem Motto steht das gesamte dichterische Werk des 83jährigen Gellu Naum. "Er hat", so die Jury, "eine unkonventionelle Poetologie entwickelt, die totale Eigenständigkeit beansprucht, alles tradiert Poetische ablehnt". Der große alte Mann der europäischen Poesie begreife Dichtung als "radikal individuelle Ausdrucks-, Erkenntnis- und Seinsweise". Die Gedichte des letzten lebenden Surrealisten seien "durch und durch poetische Aneigungen der Welt".
Naum - zeitlebens bedrängt und zensiert
Zeitlebens bedrängt und zensiert hat Gellu Naum zahlreiche Gedicht-, Prosa- und Kinderbücher geschrieben, Theaterstücke und Marionettenspiele verfaßt und Werke u.a. von Diderot, Kafka und Beckett ins Rumänische übertragen. Er war in den 40er Jahren der führende Kopf der surrealistischen Bewegung in Bukarest. 1947, nach der kommunistischen Machtergreifung, wurde die Gruppe verboten und mit Publikationsverbot belegt. Erst 1968 konnte wieder ein Band ("Athanor") von Naum erscheinen.
Pastior - ein "Sprachalchemist von hohen Gnaden"
Als der aus Rumänien stammende Deutsche Oskar Pastior (Jahrgang 1927) im Jahre 1969 Rumänien verließ, hatte er diesen Gedichtband im Gepäck. Es sollte ein Schlüsselwerk für ihn werden: 30 Jahre begleitete Pastior - "als Dichter ein Sprach-Alchemist von hohen Gnaden" (Jury) - das Werk von Gellu Naum. In der Preisbegründung heißt es weiter: "Bei seinem Zwiegespräch mit Gellu Naum ist ihm, dem übersetzenden Dichter, eine Gratwanderung gelungen: mit absolutem Gehör und Einfühlungsvermögen sich in den Dienst eines anderen stellen - ohne sich selbst doch ganz zu verleugnen". Entstanden seien so "getreue Übertragungen, in denen - zwischen den Zeilen - dennoch etwas von dem unverwechselbaren Pastior-Tonfall mitklingt".
Der Poesiepreis wird in einer Feierstunde im Rathaus - Beginn 11 Uhr - durch Oberbürgermeisterin Marion Tüns verliehen. Joachim Sartorius wird die Begründung der Jury vortragen, die Laudatio hält die Literaturkritikerin Dr. Sibylle Cramer. Anschließend werden sich die beiden Preisträger mit einer Lesung bedanken. Oskar Pastior wird nicht zum ersten Mal zu Gast in Münster sein: Er hatte 1995 die Laudatio für die damaligen Poesiepreisträger, die Dänin Inger Christensen und ihren Übersetzer Hanns Grössel, gehalten.