"...daß wir Außenseiter sind" Die Themen stehen in dem Buch exemplarisch für die Vielzahl unterschiedlichster Aspekte jüdischen Lebens in diesen Übergangsjahren von einem zunächst demokratisch-politischen System zur diktatorischen "Rassenideologie" der Nationalsozialisten. Am Beispiel "Bildung" lebt etwa der Schulalltag jüdischer Kinder aus der Sicht von Zeitzeugen auf: "Bleib da´. Komm´ nicht nahe zu uns heran", erinnert sich Erich Waldeck an Abwehr und Häme auf der "Städtischen Oberrealschule". Seine Mitschüler waren der Aufforderung ihres Religionslehrers gefolgt, "sich die Juden ´vom Leibe´ zu halten". Rudi Neumark legte Mitte der 20er Jahre am Städtischen Gymnasium sein Abitur ab: Wir mußten "sehr vorsichtig sein, immer, daß wir nicht auffallen, daß wir keine falschen Bemerkungen machen, daß die Leute nicht hinter uns herrufen und so weiter. (...) Wir waren uns dauernd bewußt, daß wir Außenseiter sind". Andere Beiträge in diesem Abschnitt beleuchten Studium und Lehre an der Westfälischen Wilhelms-Universität. Gisela Möllenhoff und Rita Schlautmann-Overmeyer dokumentieren das politische Engagement jüdischer Studenten, skizzieren die Entlassung Münsteraner Hochschullehrer aus "rassischen" und politischen Gründen und die Reaktion der Betroffenen zu Beginn des NS-Regimes.
Jüdische Bürger im Spiegel der Lokalpresse Wesentliche Aspekte im täglichen Miteinander lassen sich auch im Themenbereich "Gewerbe und Handel" ablesen. Der Frage, inwieweit jüdische Münsteraner im Handel etabliert waren, wird anhand der Vieh- und Getreidehändler und der Geschäftsleute nachgegangen, die ein Ladenlokal betrieben. Analysiert das Eingangskapitel im Buch das Selbstverständnis jüdischer Münsteraner im Ersten Weltkrieg, so stellt das letzte Kapitel die Frage nach dem Verhältnis zwischen Fremd- und Selbsteinschätzung der jüdischen Minderheit. Wie nahmen nichtjüdische Münsteraner ihre jüdischen Mitbürger etwa im Spiegel der Lokalpresse wahr, ist hier eine der Fragestellungen. Vor allem die Bildquellen bieten Einblick in den privaten und den öffentlichen Raum, in dem sich jüdische Münsteraner bewegten, bzw. bewegen mußten. Gesetze und Verordnungen, Diskriminierung und Ausgrenzung schlugen sich nicht nur in Akten nieder, sondern sind ebenso ablesbar an Zeitungsannoncen, Pressemitteilungen und Fotodokumenten. Teilband 2,2 führt zum Holocaust
Aufgrund der Fülle des Gesamtmaterials - es ist durch die kontinuierlich weitergeführten Recherchen und Korrespondenzen der Autorinnen enorm angewachsen - wird es einen zweiten Teilband geben. Der nächste umfaßt den Zeitraum 1935/36 bis 1945 sowie Rückblicke der Überlebenden und ihrer Nachfahren. Das gesamte Material der "Sammlung Möllenhoff/Schlautmann-Overmeyer" wird in die fürs Stadtarchiv geplante Abteilung "Stadtgeschichtliche Dokumentation" integriert und für weitere Forschungen zur Verfügung stehen.
"Jüdische Familien in Münster 1918-1945. Teil 2,1: Abhandlungen und Dokumente 1918-1935" von Gisela Möllenhoff und Rita Schlautmann-Overmeyer. Im Auftrag der Stadt Münster, der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Münster e.V., des Institutum Judaicum Delitzschianum der Westfälischen Wilhelms-Universität, herausgegeben von Franz-Josef Jakobi, Susanne Freund, Andreas Determann, Diethard Aschoff. Münster, 1998, Verlag Westfälisches Dampfboot, 78 Mark.