In den 80er Jahren landauf, landab installiert, gilt die "Literatur am Telefon" heute als nicht mehr ´en vogue´; zahlreiche Städte haben diese Ansagedienste wieder eingestellt. Münster nicht: "Publikum, die Autorinnen und Autoren und die Stadt haben beim Literaturtelefon und beim Lyrikertreffen an der Idee festgehalten, Literatur einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen", betont Kulturamtsleiterin Bernadette Spinnen. Das Engagement sei mit einem festen Etat ausgeweitet worden, die Hörerschaft treugeblieben. "Heute ist das Literaturtelefon eine Institution, die die literarische Szene vorstellt und das kulturelle Leben in Münster mitprägt und begleitet".
Es klingt und deklamiert
Zwischen Kochrezepten und Lottozahlen, Börsendaten, Reisevorschlägen und anderen mehr oder weniger alltagsnützlichen Nummern findet sich im Telefonbuch auch der Hinweis auf "Gedichte und Kurzprosa". Doch das Literaturtelefon bietet weit mehr: Es klingt und deklamiert, erzählt und dramatisiert - mal traditionell, mal experimentell. Für das große Spektrum ganz unterschiedlicher Lesungen steht Dr. Iris Nölle-Hornkamp, die 1993 von Gottfried Schäfers die Leitung des Ansagedienstes übernahm und gemeinsam mit dem Kulturamt das Konzept reformierte. Produziert werden die bis zu zehnminütigen Beiträge im Bürgerfunk-Studio der Volkshochschule mit Hilfe der Medienpädagogen. Die Bandbreite reicht von Lyrik, Kurz- und Kürzestprosa über intermediale Verknüpfungen von Sprache und Musik bis zu Märchen, Krimi, Satire und Hörspiel. "Es lesen Autoren aus dem gesamten westfälischen Raum und Schriftsteller, die in westfälischen Verlagen veröffentlichen oder deren Texte einen Bezug zur Region haben", nennt die Literaturwissenschaftlerin und Mitherausgeberin des Westfälischen Autorenlexikon ein Auswahlkriterium. Eingeladen werden auch Autoren, die als Stipendiaten oder zu Lesungen kommen.
In Münster und Münsterland zum Ortstarif
Das Literaturtelefon kann in Münster und im Münsterland zum Ortstarif angewählt werden. Die Hörerresonanz variiert, im Durchschnitt rufen 150 bis 250 Hörer wöchentlich das Programm ab. Spitzenreiter 1998 war Václac Havel: Rund 1000 haben die Rede des tschechischen Präsidenten zur Verleihung des Westfälischen Friedenspreises am Telefon gehört.
Anthologie spiegelt Vielfalt
Sein Beitrag ist jetzt auch nachzulesen in der zum Geburtstag des Literturtelefons erschienenen Anthologie "Bei Anruf Poesie". Für dieses Lesebuch aus dem Ardey-Verlag Münster haben weitere 83 Schriftstellerinnen und Schriftsteller der Herausgeberin Iris Nölle-Hornkamp Lyrik und Prosa zur Verfügung gestellt. Über 80 Texte - zum großen Teil als Erstveröffentlichung - umfaßt die Anthologie. Entstanden ist so ein Buch, das in seiner literarischen Vielfalt auch das Programm des Literaturtelefons widerspiegelt. Möglich gemacht wurde der Band durch die Unterstützung des Kulturamtes, der Kulturstiftung der Westfälischen Provinzial-Versicherungen, Volkshochschule, Nyland-Stiftung Köln und durch den Landschaftsverband Westfalen-Lippe.
Aktueller Beitrag zum Lyrikertreffen
Wer beim Lesen dieses Buches wiederum Appetit verspürt auf das Hören: Unter Tel. 01 15 10 lesen in diesen Wochen die Teilnehmer des 11. Lyrikertreffens Münster. Den Auftakt macht in der Woche bis zum 30. April die Berliner Schriftstellerin Ulrike Draesner.
Bei Anruf Poesie. Das LiteraturTelefon der Stadt Münster 1979-1999. Ein Lesebuch. Hg. Iris Nölle Hornkamp, Münster, Ardey-Verlag, 1999. ISBN 3 - 87023-120-3