"Auch wenn Münster sich bei der Höhe der Pro-Kopf-Verschuldung und dem damit einhergehenden Schuldendienstes nicht nur landesweit, sondern bundesweit sehr gut sehen lassen kann, sind zukünftig alle politischen Kräfte zu bündeln, um die Notwendigkeit einer Rückführung der hohen Fremdfinanzierungsquote unserer investiven Ausgaben zu erkennen und dies auch nachhaltig zu verfolgen. Denn Münster ist finanzpolitisch keine ‚Insel der Seligen‘, allenfalls der berühmte Einäugige unter den Blinden", so Tillmann. "Insofern ist auch bei uns weiterhin sparsames Wirtschaften und die Schaffung von Eigenkapital ebenso angesagt wie eine klare Prioritätensetzung auf das Wesentliche. Unabhängig vom Ausgang der Kommunalwahl ist dies eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben im Rathaus und im Stadthaus."
Einige Zahlen verdeutlichen das: Der Schuldenstand hat sich von Ende 1990 mit 345,5 Mio DM bis Ende 1998 auf 742,9 Mio DM mehr als verdoppelt. Im Vergleich dazu stieg die Verschuldung von Ende 1982 (313,9 Mio DM) bis Ende 1990 (345,5 Mio DM) nur um 10 Prozent. Der Schuldendienst fiel im Vergleich von 1982 bis 1990 von 45,0 Mio DM auf 40,0 Mio DM - ein Rückgang von 11,1 Prozent. Im Zeitraum von 1990 bis 1998 mit 68,4 Mio DM stieg der Schuldendienst um 71 Prozent.
Schulden könnten 1 Mrd DM erreichen
Nach der derzeitigen Finanzplanung bis 2002 könnte sich der Schuldenstand möglicherweise auf 1,057 Mrd DM erhöhen. Dies wäre eine Steigerung von rund 42 Prozent in nur vier Jahren. Demgegenüber stehen die Geldanlagen aus Rücklagen in Höhe von insgesamt rund 156 Mio DM am Jahresanfang 1999.
Durch intensive Bemühungen versuchen Rat und Verwaltung diese Entwicklung in den Griff zu bekommen. So hat der Verwaltungsvorstand in seiner ersten Investitionskonferenz im Mai letzten Jahres vereinbart, die Netto-Kreditaufnahme für einen mehrjährigen Planungszeitraum auf eine vertretbare Obergrenze zu beschränken. Innerhalb dieser Grenzen sind die Prioritäten für Investitionen festzulegen. "Es geht", so Tillmann, "nicht um die Frage ‚alles oder nichts‘, sondern um das ‚Was in welcher Zeit‘." Wichtiges müsse von Unwichtigem getrennt werden, damit die Stadt handlungsfähig bleibe und sich Spielräume für notwendige Entwicklungen verschaffen könne.
"Wo Schatten ist, da ist auch Licht", so schwenkt Tillmann zum Positiven. So wie die Stadt die örtliche Wirtschaft fördert, erzielt sie Steuereinnahmen aus der Wirtschaft, die sie zu einer der steuerstärksten Kommunen der Republik macht. Diese Einnahmen sorgen auch dafür, daß Rücklagen angesammelt werden können, um Risiken in den Haushaltsplänen 1999 und in den Folgejahren bei Bedarf auszugleichen.
Der hohe Kreditbedarf seit Anfang der 90er Jahre hat vor allem zwei Ursachen: Die Hochkonjunktur bei den Investitionen in Münsters Zukunft und die seit einigen Jahren höchst angespannte Finanzlage der deutschen Städte insgesamt, von der sich Münster nur teilweise abkoppeln konnte.
Stadt investierte seit 1990 mehr als eine Mrd DM
So gab die Stadt beispielsweise von 1990 bis 1998 über eine Mrd DM für Bauinvestitionen aus. Schwerpunkte bildeten unter anderem die Stadtbücherei, der Umbau der Halle Münsterland, die "Südschiene" mit Albersloher Weg und Hafenbereich, die Sanierung des Theaters, die Konversion ehemals militärisch genutzter Flächen und Gebäude und die zahlreichen Wohnbaugebiete. Allein die Investitionen in den Aus- und Umbau der auch regionalpolitisch bedeutsamen Halle Münsterland seit 1990 einschließlich der für die nächsten Jahren vorgesehenen Maßnahmen summieren sich auf stolze 128 Mio DM. Das "Südschienen-Projekt" schlägt mit der Stadthafen-Sanierung und dem Ausbau des Albersloher Weges mit deutlich über 100 Mio DM zu Buche.
Darüber hinaus erweiterte und baute die Stadt im gesamten Stadtgebiet – verstärkt durch die "Kindergartenplatz-Garantie" des Bundes von Mitte 1992 – Kindertagesstätten. Seit 1992 kamen über 1800 Plätze in 41 Kindergärten hinzu. Allein die Investitionskosten - also ohne das notwendige Personal und ohne laufende Betriebskosten - beliefen sich hierbei auf über 50 Mio DM brutto.
Eine weitere Daueraufgabe, die teilweise über Kredite vorfinanziert wird, ist mit jährlich etwa 3 Mio DM die Kanalsanierung; Autofahrern ist sie durch zahlreiche Baustellen bekannt. Hinzu kommen immer wieder Projekte der Kanalverbesserung, so jüngst im Ostviertel, im Kreuzviertel, im Südviertel und in der Altstadt.
Städtisches Vermögen beträgt 6 Mrd DM
Dem Kämmerer ist es angesichts dieser enormen Größenordnungen wichtig zu betonen, "daß die Investitionsausgaben eine Doppelwirkung haben: Sie stärken die Attraktivität der Stadt und sichern Arbeitsplätze in der Privatwirtschaft, denn rund 80 Prozent der Ausgaben fließen in die örtliche und regionale Wirtschaft." Damit wird deutlich, daß Schulden nur die eine Seite der Medaille sind. Auf der anderen Seite steht das städtische Vermögen. Dieses schätzt der Kämmerer auf rund 6 Mrd DM. Wie das Vermögen genau zu bewerten ist, wird in den nächsten Jahren ermittelt, wenn das einfache kommunale Rechnungswesen mit wichtigen Bestandteilen des kaufmännischen Rechnungswesens weiterentwickelt wird.
Der Kämmerer betrachtet das Investitionsgeschehen in Münster mit einem lachenden und einem weinenden Auge. "Ein regionales Oberzentrum wie Münster", so Tillmann, "muß investieren, um im Hinblick auf die Lebensqualität, die Wirtschaftskraft und die Attraktivität der Stadt auch im europäischen Maßstab konkurrenzfähig zu bleiben und um die Steuerstärke zu sichern, auf der Arbeit, Handel und Wandel aufbauen."
Daß so hohe Investitionen nicht nur aus eigener Kraft, sprich mit Eigenmitteln, zu finanzieren sind, versteht sich von selbst und ist auch für Unternehmen nicht ungewöhnlich. "Wir in Münster müssen aber gemeinsam alles daran setzen, daß wir die mit dem Investitionsprogramm verbundenen Risiken, nämlich die langfristigen Zins- und Tilgungsverpflichtungen nicht nur im Blick behalten, sondern auch in den Griff bekommen", gibt Tillmann die Marschroute vor. "Das erste, die Sensibilisierung für die Schuldenthematik, ist erreicht. Das zweite müssen wir nun gemeinsam erarbeiten."