"Wie bei allen guten Ideen fragt man sich, warum nicht schon viele längst auf den Gedanken gekommen sind, die Bildtelefonie für diesen Zweck zu nutzen", sagte Oberbürgermeisterin Tüns bei der Vorstellung der Dienstleistung. "Daß ausgerechnet ein junges Unternehmen aus Münster die zündende Idee verwirklichte, spricht für die Innovationskraft und das Potential der Wirtschaft in dieser Stadt", so die Oberbürgermeisterin.
Sie bedankte sich bei Ingo Schmidt, der der Stadt zwei Bildtelefone für das neue Angebot zur Verfügung gestellt hat. Das zweite Gerät wird im Stadthaus I im Bürgeramt (Raum 187) installiert. Sie sei auf das Angebot von C2U gerne eingegangen, betonte Marion Tüns. Sie wies in diesem Zusammenhang auf den einstimmigen Beschluß des Rates, der Erklärung von Barcelona "Die Stadt und die Behinderten" beizutreten. Mit ihrer Unterschrift unter diese Erklärung verpflichten sich Städte, die gleichberechtigte Teilnahme von Menschen mit Behinderungen am Leben in der Gesellschaft nachdrücklich zu fördern. Münster hat dazu ein detailliertes "Handlungsprogramm Integrationsförderung für Menschen mit Behinderungen" aufgestellt.
Die Verständigung zwischen Gehörlosen und den Mitarbeiterinnen der Bürgerberatung funktioniert nach einem denkbar einfachen Prinzip: Gehörlose tragen ihr Anliegen am Bildtelefon, das mit dem Callcenter verbunden ist, in Gebärdensprache vor. Dort sitzt ein geprüfter Gebärdendolmetscher ebenfalls an einem Bildtelefon. Auf einer zweiten Telefonleitung ist er zugleich mit der Bürgerberaterin verbunden. Der Dolmetscher übersetzt die Gebärdensprache simultan in Lautsprache - und umgekehrt. Bei Bedarf kann die Bürgerberaterin das Gespräch auch an eine andere Dienststelle weitervermitteln, so daß der gehörlose Besucher prinzipiell mit jedem Mitarbeiter innerhalb des Telefonnetzes der Verwaltung sprechen kann.
Der Service gibt den schätzungsweise 1000 hörgeschädigten Menschen in Münster, von denen rund 200 vollkommen gehörlos sind, ein Stück mehr Selbstbestimmung. Das bestätigten Norbert Merschieve, Vorsitzender des Vereins der Hörbehinderten Münster und Münsterland, und Ulrich Neumann, stellvertretender Vorsitzender des Gehörlosenvereins Münster. Die Bildtelefonie ermögliche das direkte Gespräch. Die Kommunikation verlaufe entspannter und lebhafter, es gebe weniger Mißverständnisse.
Wie C2U-Aufsichtsratsvorsitzender Schmidt berichtete, betreibt sein Unternehmen an der Rösnerstraße das weltweit einzige Gehörlosen-Callcenter. Zur Zeit gingen pro Tag zwischen 50 und 70 Anrufe von gehörlosen und schwer hörgeschädigten Menschen ein. Momentan ist das Callcenter von 8 bis 21 Uhr mit Gebärdendolmetschern besetzt, ab dem 8. Juli kann der Übersetzungsdienst rund um die Uhr in Anspruch genommen werden.
Nach Münster wird C2U ab dem 8. Juli auch im österreichischen Graz Gehörlosen einen vergleichbaren Service anbieten. Das gesamte Projekt steht unter der Schirmherrschaft von Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen und des österreichischen Landesrates Günter Dörflinger. Die Europäische Union hat die Arbeit des Gehörlosen-Callcenters als förderungswürdig anerkannt und gibt dem Unternehmen finanzielle Unterstützung.