(SMS) Vom Schauplatz der NS-Verbrechen zum Ort des Lernens: Im Dezember wird die Villa ten Hompel als Stätte der Erinnerung, Bildung und Forschung eröffnet. Das Haus am Kaiser-Wilhelm-Ring war in seiner wechselvollen Vergangenheit von 1924 bis 1968 zugleich Tatort des Unrechts und Forum der Wiedergutmachung. In einer Serie blenden wir auf die Geschichte der Villa zurück. Heute: 1940 bis 1945 - Sitz der Ordnungspolizei mit Befehlshaber Dr. Heinrich B. Lankenau
"Es war der Höhepunkt meiner dienstlichen Laufbahn", zog Dr. Heinrich B. Lankenau in den 70er Jahren Bilanz seiner Tätigkeit als "Befehlshaber der Ordnungspolizei" in Münster. Seit April 1940 war er Hausherr der Villa ten Hompel mit ihren 25 Räumen, für deren Pflege und Erhalt ihm ein Hausmeister und zwei Putzfrauen bewilligt worden waren. Das repräsentative Anwesen entsprach der gewichtigen Funktion, die die Ordnungspolizei im Wehrkreis VI ausfüllte. Mit etwa zwölf Millionen Einwohnern und einer Zusammenballung kriegswichtiger Industriebetriebe im Ruhrgebiet umfasste dieser Wehrkreis das heutige Nordrhein-Westfalen, den Raum Osnabrück und ab 1940 Teile Belgiens. Damit war er der bevölkerungsreichste und größte Polizeibereich im damaligen Deutschen Reich.
Die Übernahme der Villa am Kaiser-Wilhelm-Ring symbolisierte eine Entwicklung, die "Reichsführer SS" Heinrich Himmler seit Juni 1936 systematisch verfolgt hatte: Aus den 16 Länderpolizeien formierte er eine Reichspolizei unter seinem Einfluss. In seiner Doppelfunktion als RFSS und "Chef der Deutschen Polizei" unterstanden Himmler die beiden Hauptämter "Sicherheitspolizei" (Geheime Staatspolizei / Kriminalpolizei) und die "Ordnungspolizei". Während sich die "Sicherheitspolizei", hier insbesondere die Gestapo, ganz bewusst mit der Aura von Furcht und Grusel umgab, kannten die Bürger ihre Ordnungspolizei über die vielen Beamten auf den Straßen und an den Schreibtischen der Ortspolizeibehörden.
Planspiele für die "Heimatfront"
Die Polizeireform nach 1936 übertrug dem "Inspekteur der Ordnungspolizei" den Rang einer Dienstaufsicht. Er war für die Zusammenarbeit der zahlreichen Polizeikräfte - Gendarmerie, Schutzpolizei und Hilfspolizei - zuständig. Als Mittelinstanz betreuten die Inspekteure die militärische Aus und Fortbildung der uniformierten Polizei und überwachten die Vorkehrungen für den Fall der Mobilmachung und des Katastrophenschutzes. Zu diesem Zweck ordneten sie regelmäßig Planspiele und Übungen an. Kurz, sie hatten die sogenannte "Heimatfront" schon im Vorfeld des Krieges zu mobilisieren und für die technische Aufrüstung und Modernisierung der Polizeieinheiten zu sorgen.
Der erste "Inspekteur der Ordnungspolizei" in Münster, Herbert Becker, bezog sein bescheidenes Büro am 15. September 1936. Die kleine Behörde am Breul 14 expandierte unter den neuen Vorgaben. Paramilitärische Formationen wurden im Befehlsbereich eingerichtet und in Polizeiausbildungsabteilungen zusammengefasst. In diesen hilfsmilitärischen Einheiten wurden nun die zum Polizeidienst eingezogenen Männer auf ihre Rolle als Instrument der nationalsozialistischen Expansionspolitik vorbereitet. Im März 1938, bei der Besetzung Österreichs, konnten sich die Hundertschaften erstmals in ihrer neuen Funktion präsentieren. Aus Sicht des NS-Systems hatte die Polizei ihren Nutzen zur Verwaltung der annektierten Gebiete unter Beweis gestellt.
Kurz vor der deutschen Westoffensive am 16. März 1940 beförderte Himmler die vier "Inspekteure der Ordnungspolizei" in den besonders luftgefährdeten westlichen Industriegebieten Münster, Hamburg, Wien und Stuttgart zu "Befehlshabern der Ordnungspolizei"(BdO). Dies betraf auch den seit Juni 1939 in Münster amtierenden Inspekteur Dr. Heinrich Lankenau. Im seinem Wehrkreis VI waren insgesamt 21 Städte - neben Münster fast alle größeren Städte des Rhein und Ruhrgebiets - zu besonders gefährdeten Luftschutzorten erster Ordnung erklärt worden. Alles in allem befehligte der BdO im Wehrkreis VI damit an die 200 000 Mann und hatte damit eine der größten Organisationen der regionalen NS-Gesellschaft unter sich.
In die Konzentrationslager im Osten
Der Krieg erweiterte die Aufgaben des BdO. In der Villa ten Hompel erhöhte sich die Zahl der Mitarbeiter von sieben auf 40. Neben die Zivilschutzmaßnahmen des Luftschutzes trat nun die Aufstellung des Personals der Repression. Es wurden Wachmannschaften für die Deportationszüge in die Vernichtungslager gestellt und Transportbegleitungen in die Konzentrationslager im Osten. Die Aufstellung von Polizeieinheiten gehörte ebenfalls zum Arbeitsalltag des BdO. Auch das Aufsichtspersonal für die sogenannten Arbeitserziehungslager war von hier aus zu stellen. Gegen Ende des Krieges unterstanden dem BdO in Münster darüber hinaus die Land- und Stadtwachten, mit deren Hilfe "Fremdarbeiter und Kriegsgefangene" zu überwachen und bei Fluchtversuchen die Personen wieder zu ergreifen waren. Zum Aufgabenspektrum gehörte auch die Aufstellung von insgesamt mindestens 22 Polizeibataillonen, die Lankenau dann auf Inspektionsreisen unter die Lupe nahm. Diese waren später massiv an den Morden an der jüdischen Bevölkerung Osteuropas beteiligt.
Lankenau wird in die Niederlande versetzt
Nach der Versetzung Lankenaus zum "Befehlshaber der Ordnungspolizei" in den Niederlanden - er stirbt 1983 - übernimmt Otto Schumann am 14. Dezember 1942 in Münster den Posten. Schumann wechselt aber schon Anfang November des folgenden Jahres in den Ruhestand und wird durch Kurt Göhrum ersetzt, der zuvor im geschichtsmächtigen Nürnberg Inspekteur der Ordnungspolizei war. Münster und Lankenau hatte Kurt Göhrum schon 1941 als Referent auf einer Tagung zum Luftschutz kennen gelernt. Göhrum benötigt Münster nur als Stufe seiner rasanten Karriere. Nach nur wenigen Monaten wird er zum Höheren SS und Polizeiführer – gleichzeitig auch zum Polizeipräsidenten - in der Reichshauptstadt Berlin ernannt, deren Verteidigung er laut Funkspruch vom April 1945 "bis zum letzten Blutstropfen" fordert. Sein Nachfolger in Münster Reiner Liessem - zuvor BdO in Breslau - zieht mit dem Befehlssitz der Ordnungspolizei im Oktober 1944 in eine Kaserne in Düsseldorf-Kaiserswerth, wo sich auch der Dienstsitz des Höheren SS- und Polizeiführers West befindet. Die Luftschutzfunkzentrale bleibt zunächst noch in Münster, bevor sie wenig später in die Haard bei Recklinghausen verlegt wird.
Das verwirrende Nebeneinander von Gestapo, Ordnungspolizei, Höherer SS- und Polizeiführer, Polizeipräsident, Stadtwacht, Luftschutz, Sicherheits- und Hilfsdienst war im Dritten Reich nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Die interne Konkurrenz führte allerdings nicht dazu, dass die rassistischen Ziele des Regime mit weniger Energie umgesetzt wurden. Im Gegenteil: Eine Instanz versuchte oft, die andere im Sinne seiner Führer zu übertreffen.