(SMS) Vom Schauplatz der NS-Verbrechen zum Ort des Lernens: Im Dezember wird die Villa ten Hompel als Stätte der Erinnerung, Bildung und Forschung eröffnet. Das Haus am Kaiser-Wilhelm-Ring war in seiner wechselvollen Vergangenheit von 1924 bis 1968 zugleich Tatort des Unrechts und Forum der Wiedergutmachung. In einer Serie blenden wir auf die Geschichte der Villa zurück. Letzte Folge: 1953 - 1968 Sitz des Dezernates für Wiedergutmachung für politisch, rassisch und religiös Verfolgte.
"Allen diesen Leuten wird geholfen, warum uns nicht? Bin ja mit einer Rente oder einer einmaligen Abfindung zufrieden, die Sie bestimmen. Aber ich hoffe ja, dass man Recht walten lässt und uns hilft". Mit diesen Sätzen bittet eine Münsteranerin das "Dezernat für Wiedergutmachung für politisch, rassisch und religiös Verfolgte" im Jahre 1953 um Entschädigung. Ihr Ehemann ist im Sommer 1938, angeblich wegen "Arbeitsverweigerung", durch die Gestapo verhaftet worden und schließlich im Alter von 44 Jahren im Konzentrationslager Mauthausen verstorben.
Die Sachbearbeiter des Dezernats - es unterstand der Bezirksregierung - lehnen den Antrag der Witwe ab. Was bleibt, ist Enttäuschung und Entrüstung: "Ich bekam am 8. Juli 1954 einen ablehnenden Bescheid, womit ich mich auf keinen Fall zufrieden gebe. Sie haben den sichersten Beweis dafür, daß mein Mann im KZ umgekommen ist. Einen besseren Beweis gibt es nicht (...). Wir sind die Geschädigten, und ich würde nicht so kämpfen, wenn es nicht zu Recht bestände."
Trotz ihrer Beschwerde geht die Münsteranerin leer aus, da ihr Mann - so die Begründung - kein politischer Gegner des Nationalsozialismus und seine Verhaftung wegen "Arbeitsverweigerung" keine typisch nationalsozialistische Gewaltmaßnahme gewesen sei. Wie der Witwe ergeht es vielen, die einen Antrag auf Entschädigung für ihre Verfolgung durch die Nationalsozialisten stellen. Viele aber erhalten auch eine Ausgleichszahlung für erlittenes Leid, die oft einen Neuanfang nach 1945 ermöglichte.
Bis zu seiner Auflösung 1968 hatte das Wiedergutmachungsdezernat der Bezirksregierung seinen Sitz in der Villa ten Hompel. An der Stätte, an der Beamte nur wenige Jahre zuvor das nationalsozialistische Regime aktiv unterstützt und Gewaltmaßnahmen möglich gemacht haben, entscheiden jetzt andere über die Entschädigung der Opfer. Basis bildete das 1953 verabschiedete Bundes-Entschädigungsgesetz. Berechtigte Personen waren politisch, rassisch und religiös Verfolgte. Daneben bestimmte das Gesetz zu entschädigende Schäden: Schaden an Leben, an Körper und Gesundheit, an Freiheit, Eigentum und Vermögen und im beruflichen und wirtschaftlichen Fortkommen. Angehörige von KZ-Opfern konnten Entschädigung beantragen, Personen, die Misshandlungen erlitten hatten oder auch Betroffene, die beispielsweise eine Meisterprüfung nicht hatten ablegen können.
150 Mark für einen Monat KZ-Haft
Der Staat glich häufig durch Geldmittel - Kapital oder Rente - aus und das zumeist auf geringem Niveau. Für einen Monat KZ-Haft gab es 150 Mark. Bei Beeinträchtigungen etwa durch Aufgabe eines Geschäftes wurde der Verfolgte gemäß seines früheren Einkommens in eine Beamtenbesoldungsgruppe eingestuft, um dann für den Schädigungszeitraum Wiedergutmachung zu erhalten. Für Nachkriegsschädigungen erhielten NS-Opfer nichts.
In der "Villa ten Hompel" arbeiteten 1953 ein halbes Dutzend Angestellte und Beamte der Bezirksregierung, Ende der 50er Jahre waren es bis zu 20. Die Leitung des Dezernats hatte Dr. Hans Kluge, selbst während der NS-Zeit politisch Verfolgter. Hans Kluge war von der Bezirksregierung bewusst in die Wiedergutmachung versetzt worden. Ebenso achtete die Regierung darauf, dass vor allem junge, unbelastete Beamte und keine ehemaligen Nationalsozialisten in der "Villa ten Hompel" tätig waren.
Insgesamt stellten im Dezernat rund 12 000 Personen aus dem gesamten Regierungsbezirk Münster einen Antrag auf Entschädigung. 100 Millionen Mark gingen über die Schreibtische der Sachbearbeiter. Trotz dieser gewaltigen Summe blieben aber auch viele Antragsteller ohne Erfolg. Zahlreiche Verfolgtengruppen fielen aus der Entschädigung heraus, darunter die Zwangssterilisierten, die Euthanasieopfer, die ausländischen Zwangsarbeiter, die Homosexuellen oder münsterländische Frauen, die sexuelle Kontakte zu Zwangsarbeitern gehabt hatten. Ihre Verfolgung wurde nicht als "typisch nationalsozialistisch" anerkannt, sondern auf sozial- oder militärpolitische Gründe zurück geführt.
Entschädigungsberechtigte mussten eine "typisch nationalsozialistische" Verfolgung - bestes Beispiel sind hier die jüdischen Opfer - oder eine echte Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus nachweisen. Wer etwa auf dem Prinzipalmarkt Hitlerwitze erzählt hatte und deshalb ein halbes Jahr Haft absitzen musste, erhielt keine Entschädigung. Begründung: Er hatte keinen Widerstand geleistet, sondern nur eine nicht politisch motivierte und bloß kurzzeitige Nichtübereinstimmung mit dem Regime gezeigt.
Routine in der Entschädigung
Obwohl das Dezernat in der Villa ten Hompel für viele Verfolgte sorgte, von jüdischen Verfolgtenorganisationen ausdrücklich gelobt wurde, saßen hier nach dem Krieg doch wieder Beamte, die auf der Basis eines Gesetzes und gemäß strenger Verwaltungsvorschriften über "gute" und "schlechte" NS-Opfer zu entscheiden hatten. Sie mußten sich dabei auf die Gedankengänge der nationalsozialistischen Bürokraten einlassen, da auch sie die Opfer wieder in Gruppen und in schwer oder minder schwer Verfolgte einteilen mussten. Vor allem in den ersten Monaten, so berichtete es ein ehemaliger Mitarbeiter des Dezernats, war eine Ablehnung nicht immer einfach. Mit der Zeit trat aber doch eine gewisse "Routine" ein, zumal die Beamten sich immer auf der sicheren Seite des Gesetzes befanden.
Dass dies vor allem für die Verfolgten nicht immer einfach, mit vielen schmerzhaften Erinnerungen bis hin zu Traumatisierungen verbunden war, spielte kaum eine Rolle. Ein Vorwurf, der den Gesetzgeber trifft. Er presste die Wiedergutmachung, ebenso wie es bei der Verfolgung der Fall gewesen war, wieder in einen Verwaltungsvorgang und ließ damit wenig Raum für die Bewältigung der NS-Zeit und die Anerkennung der Leiden der Opfer.