Von der Villa am Kaiser-Wilhelm-Ring aus unterstützten Behörden aktiv die Unrechts- und Kriegspolitik des NS-Regimes: Von 1939 bis 1945 war sie Sitz des Befehlshabers der Ordnungspolizei für Rheinland und Westfalen. Jahre nach dem Unrecht war das Haus Forum für die Opfer: Hier stellten 12 000 Personen ab 1953 Anträge auf Wiedergutmachung und Entschädigung. Nach dem städtischen Ankauf des Hauses vom Land, nach Umbau und Sanierung wird die Stadt Münster am 13. Dezember die Villa ihrer neuen Bestimmung übergeben. "Sie wird dann als regionale Stätte der Erinnerung, Forschung und historisch-politischen Bildung ihre Arbeit aufnehmen", so Kulturdezernentin Helga Boldt vor der Presse. Bundesweit werde die Stätte als Unrechtstatort von Verwaltungshandeln eine Lücke in den Gedenk- und Forschungsstätten zum Nationalsozialismus schließen.
Enge Zusammenarbeit mit der Oberfinanzdirektion Münster
Die Ausstellung "Verfolgung und Verwaltung" wurde erarbeitet von Dr. Alfons Kenkmann (Geschäftsführer der Villa ten Hompel) und Prof. Dr. Bernd-A. Rusinek (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf). Sie entstand in enger Zusammenarbeit mit der Oberfinanzdirektion Münster, die als erste Oberfinanzdirektion in der Bundesrepublik das eigene Handeln in der NS-Zeit reflektiert: Seit Mitte der 90er Jahre setzt sie sich mit der Rolle der Steuer- und Zollverwaltung im Dritten Reich aktiv auseinander. Ilse Birkwald (Finanzamt Lemgo) und Gerd Blumberg (Zollreferent Münster) haben für die Ausstellung ihre Suche nach historischen Dokumenten und Zeitzeugen wieder aufgenommen und die Unterlagen und Aussagen ausgewertet. Erstmals nehmen sie dabei auch die Nachkriegsgeschichte in den Blick.
Ziel der Ausstellung ist es, die Beteiligung der staatlichen Verwaltung an der nationalsozialistischen Judenpolitik zu dokumentieren. Sie zeigt dies exemplarisch am Bereich der heutigen Oberfinanzdirektion Münster und zeichnet ihren Anteil an Drangsalierung, Entwürdigung und Ausplünderung vor allem des jüdischen Bevölkerungsteils zwischen 1933 bis Kriegsende nach. Das Dritte Reich hat den Juden und den "Zigeunern" eine Hölle bereitet - und die Finanzbehörden waren fast immer mit im Spiel.
Die Nationalsozialisten definierten in einer ersten Phase den Status als Jude (1933-1935) und versahen die Juden dann mit einem minderen Rechtsstatus (1935-1938). Beide Phasen lassen sich nicht exakt auseinander halten. Auswanderungen wurden zunehmend schwieriger und kostspieliger, bis sie mit Kriegsbeginn nahezu unmöglich gemacht und Oktober 1941 endgültig verboten wurden. An der Auswanderung gehindert, wurden die Juden ab Jahresende 1941 "in den Osten", also weitgehend in die Vernichtungslager deportiert.
Verwaltung verhalf NS-Regime zu gewaltigem Vermögen
Keine dieser Phasen ohne Beteiligung der Finanzverwaltung. Sie verhalf dem Dritten Reich zu gewaltigen Summen. Sie erhob Sondersteuern und Abgaben und trieb sie ein, sie bewachte die Grenzen, beteiligte sich an der Enteignung, zog Erkundigungen ein und beutete Vermögen aus. Die Beamten der Finanzverwaltung waren sich nicht zu schade, den Besitz jener zu verwerten, die in den Tod deportiert worden waren. Der physischen Liquidierung ging die ökonomische häufig voraus.
Es ist nicht auszumachen, ob die einzelnen Beamten ein Gefühl für ihr Tun hatten oder wertblind funktionierten. In den recherchierten Ausstellungsquellen aus der Zeit bis Kriegsende ist keine distanzierende oder mitfühlende Äußerung gefunden worden - aber auch, sieht man von Propaganda-Reden hoher NS-Funktionäre ab, selten eine Äußerung des Rassenhasses und der Verfolgungslust.
Ausstellungsaufbau
Durch eine originalgetreue Inszenierung einer Finanzamtsstube mit Schreibtisch, Aktenbock, Schreibmaschine, Tintentrockner, Stempel wird der Besucher in die Ausstellung geleitet. Sie widmet sich zunächst der Einordnung der Finanzbehörden in den nationalsozialistischen Staat nach der Machtergreifung im Januar 1933. Sie zeigt, wie sich die Behörde durch Anordnungen von oben und von traditionellem Beamtengehorsam unterstützt auch zur Schikanierung und Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen einsetzen ließ. Zugleich waren die Beamten Teil einer Gesellschaft, in der weite Kreise den Nationalsozialismus nicht erst seit der "Machtergreifung" unterstützt hatten.
In einem weiteren Ausstellungsteil wird der Beitrag der Finanzbehörden zur Kontrolle und finanziellen Erpressung der Juden thematisiert. Nach der Pogromnacht zwang das Regime die Juden zu einer "Sühneleistung" - "Judenvermögensabgabe" - für die entstandenen Schäden. Erfassung, Kontrolle und Ausbeutung erreichten nun eine neue Dimension. Finanz- und Zollbehörden arbeiteten mit Banken und Versicherungen zusammen, um Juden etwa vor der Emigration finanziell auszupressen und ihnen die letzten Freiräume zu nehmen.
In einer dritten Sequenz nimmt die Ausstellung die wirtschaftliche Ausplünderung der Juden und "Zigeuner" als 'soziales System' in den Blick. Was den Juden noch an Eigentum und Besitz geblieben war, fiel nach ihrer Deportation und Ermordung per Gesetz an den Staat. Einziehung, Verwaltung und Verwertung waren Aufgaben der Finanzbehörden. Dieser Prozess geschah öffentlich. Unter den Bedingungen der Mangelwirtschaft war die Nachfrage nach frei werdendem Wohnraum und beschlagnahmten Hausrat groß.
Beamte entschädigen die Opfer
Die letzte Ausstellungssequenz leitet über in den Bereich Entnazifizierung und Entschädigung nach Kriegsende. Wer von den Juden und "Zigeunern" den Nationalsozialismus überlebt hatte, verlangte nach der Befreiung sein Eigentum zurück. Bei den Rückerstattungsverfahren trafen die Opfer nicht selten auf jene Sachbearbeiter und Sachverständige, die einst an ihrer Beraubung beteiligt gewesen waren. Bei der Entnazifizierung entstand auf Behördenseite ein typischer Rechtfertigungsstil mit den Kennzeichen Leugnung, Verharmlosung und Verdrehung. Ein Beispiel: Oberregierungsrat Heinrich Heising, von 1933 bis 1939 Leiter der Devisenstelle und ab 1941 Leiter der Dienststelle für die Einziehung von Vermögenswerten beim Oberfinanzpräsidenten Westfalen, war schon im Mai 1945 wieder mit Rückerstattungsangelegenheiten beauftragt. Er, der zuvor an führender Stelle die Verwaltung und Verwertung des Vermögens von Juden in Westfalen organisiert hatte, sollte nun die Opfer des Nationalsozialismus entschädigen.
Die Realität des behördlichen Terrors würde verfehlt, wenn es bei der Beschränkung auf die Beteiligung der Finanzbehörden und Finanz- oder Zollbeamten bliebe. Ausstellung und das begleitende Katalogbuch zeigen vielmehr den umfassenden Charakter der Verfolgung. Sie wurde nicht von einer Seite bewerkstelligt. Zur Vernichtung der Juden und anderer als minderwertig erachteten Menschen bedurfte es der Anstrengung einer ganzen Gesellschaft. In der Einleitung des umfangreichen Kataloges schreiben die Herausgeber Kenkmann und Rusinek: "Wir haben es mit einem System der vergesellschafteten Juden- und 'Zigeuner'-Verfolgung zu tun, das weder auf die Aktivitäten einer Behörde noch etwa auf bösartige Nachbarschaftsverhältnisse reduzierbar ist. Es beruhte auf einem Synergie-Effekt. Das System bestand aus Polizei, Finanzbehörden, Banken, Versicherungen, aus Propagandisten, kühlen Sachwaltern und Wichtigtuern, aus Auktionatoren, Gutachtern, Transportunternehmern, Kauflustigen und Abstaubern".
Führungen und Vortragsreihe
Die Ausstellung wird in Münster vom 13. Dezember bis zum 31. März 2000 gezeigt und von einer Vortragsreihe ab Ende Januar begleitet. Führungen sind nach Vereinbarungen möglich. Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 10 bis 16 Uhr, Sonntag 14 - 18 Uhr. (Katalog mit Dokumenten: 25 Mark, 170 Seiten)