Zurzeit wird der Band mit Abhandlungen und Dokumenten der Jahre 1935 bis 1945 vorbereitet. Er umfasst eine Vielzahl von Briefen, Interviews und Fotos ehemaliger jüdischer Bürger während des Nationalsozialismus, darunter auch die von Dagobert Broh. Diese Publikation setzt die langjährigen Forschungen des Stadtarchivs zur jüdischen Geschichte fort. Von den Autorinnen des Projektes, Gisela Möllenhoff und Rita Schautmann-Overmeyer, liegt bereits der erste Teilband für den Zeitraum 1918 bis 1935 vor ebenso wie ihr biografisches Lexikon mit Einzelschicksalen von 1400 ehemaligen jüdischen Bürgern.
"Seine Biografie steht stellvertretend für die Verfolgung der Juden ab 1933", so Rita Schlautmann-Overmeyer zu den Lebensstationen von Dagobert Broh. Der gebürtige Berliner verliert in der Weltwirtschaftskrise seine Arbeit in einer Bank und kommt 1931 nach Münster, wo er zunächst bei der Schneiderbedarfsartikel-Firma Schönthal und dann bis 1937 in einer Baumwollabfallfabrik in Mesum arbeitet. Er ist sportlich aktiv und gehört als einziges jüdisches Mitglied einer privaten Tennisgruppe in Münster an. Als die Juden aus den Vereinen ausgeschlossen werden, übernimmt er die Leitung des jüdischen Tennisvereins. Broh ist begeisterter Theatergänger und bis 1934 häufig Gast im Stadttheater. Danach wird er Mitglied im "Jüdischen Kulturbund für Ostwestfalen und angrenzende Gebiete".
Im Juli 1935 ist der gelernte Bankkaufmann Gast bei einem christlich-jüdischen Kegelabend, an dessen Ende die Teilnehmer von SA-Leuten verprügelt werden. Dieses Ereignis, die Lektüre von Hitlers "Mein Kampf" und fehlende Berufsaussichten führen bei dem 33-jährigen zum Entschluss, Deutschland zu verlassen. 1937 emigriert er über Belgien zu seinem Bruder nach Kanada, wo er 1945 die kanadische Staatsangehörigkeit erhält und 30 Jahre im Exportgeschäft tätig ist. Im Ruhestand absolviert Broh, "um nicht den ganzen Tag im Großvaterstuhl zu sitzen", ein Geschichtsstudium. 92-jährig beendet er seine Dissertation zur Geschichte des "Aufbaus", der einzigen deutschsprachigen jüdischen Zeitung in den USA.
Dagobert Broh unterstützte die Stadt seit den ersten Kontakten 1988 immer wieder bei ihren Forschungen. Er stellte sich den Erinnerungen, überließ authentische Dokumente, vermittelte weitere Adressen ehemaliger Münsteraner Juden. Sein Erleben und seine Erfahrungen als ehemaliger jüdischer Mitbürger wird im neuen Werk des Stadtarchivs im nächsten Jahr nachzulesen sein.