Benannt ist die Nanotechnologie nach der Einheit, die für ihre Bauteile charakteristisch ist: Nanometer. Ein Nanometer entspricht dem Millionstel eines Millimeters. Damit begibt sich die Technik auf buchstäblich elementare Ebene. Fünf Kohlenstoffatome aneinander gereiht entsprechen einem Nanometer. Ein Haufen aus 100 mal 100 Millionen Kohlenstoffatomen ergibt ein Pünktchen gleich dem am Ende dieses Satzes. Um Fasern von einem Nanometer Dicke zu erhalten, müßte man ein Haar 50 000-mal spalten.
Doch so winzig klein die Dinge im Nanometer-Maßstab sind, so gewaltig ist ihr wissenschaftliches und marktwirtschaftliches Potenzial. Marktforscher gestehen der Nanotechnologie im Jahr 2001 weltweit ein Umsatzpotenzial von weit mehr als 100 Milliarden Mark zu, Tendenz steigend. Mit dieser Zahl werden zudem nur die direkten nanotechnologischen Produkte erfasst. Indirekte Umsätze - etwa durch die Verkürzung von Innovationszyklen für herkömmliche Produkte - sind praktisch nicht abschätzbar. Allein der Markt für Festplattenspeicher, die als entscheidendes Bauteil inzwischen alle einen nanotechnologischen Schreib-Lese-Kopf haben, betrug vor zwei Jahren 34 Milliarden Dollar. Der Markt für Nanoprodukte soll laut Prognosen jährlich um 15 Prozent wachsen. Prima Klima also für die kleinste aller möglichen Welten.
Weltweiter Nano-Wettlauf
Mit der Bio- und Informationstechnologie zählt die Nanotechnologie zu den drei tragenden Wirtschaftssäulen des neuen Jahrhunderts. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert etliche millionenschwere Nanotech-Projekte, um die hervorragende Stellung Deutschlands im weltweiten Nano-Wettlauf zu sichern. Grund der Euphorie: Im Nanometerbereich laufen alle Prozesse des Lebens ab, in dieser Größenordnung wird über die Eigenschaften aller Materialien entschieden. Nanopartikel in Lacken und Beschichtungen machen schon heute Brillengläser, Autolacke und Fensterscheiben kratzfest und schmutzabweisend. Ob Graffity auf dem Intercity, Blütenstaub auf dem Auto oder Schmutzflecke auf dem Panorama-Fenster - mit ein wenig Wasser fließt das Ärgernis von hinnen. Die Oberflächen können durch spezielle Atomanordnung so beschichtet werden, dass Wassertropfen wie Kugeln abperlen und aufliegende Partikel aller Art mitnehmen.
Doch Nanotechnologie ist nicht nur etwas für Saubermänner. Sie beeinflusst alle Disziplinen moderner Forschung. So beginnen Nanotechnologen von heute, sich die Schätze jahrmillionenwährender Evolution zu Nutze zu machen. Uwe Sleytr und sein Team von der Universität für Bodenkultur in Wien berauben Bakterien ihrer wohlorganisierten Proteinhülle. Für ihre Jagd nach dem Mikrobenskalp erhielten die Forscher bereits den Philip-Morris-Forschungspreis. Mit der bakteriellen Matrix lassen sich äußerst hochwertige Molekularsiebe mit Maschenweiten von wenigen Nanometern herstellen, dank derer sich Proteingemische der Biopharmazie in bislang unerreichbarer Qualität auftrennen lassen.
Nanoroboter in der Blutbahn
Auch die Medizin wird durch Anwendungen aus den unendlichen Weiten des Nanokosmos revolutioniert. So arbeiten Forschergruppen weltweit daran, Nanoteilchen in körperverträgliche und zielgenaue "Taxis" für medizinische Wirkstoffe oder gar Erbinformationen zu verwandeln. Auch die Bioverträglichkeit von Implantaten lässt sich dank nanotechnologischer Methoden enorm verbessern. Spezielle Beschichtungen erleichtern die Besiedlung der körperfremden Oberflächen mit Zellen und fördern so die Integration des Implantats.
Neue Methoden der Krebsbekämpfung
Kurz vor der Anwendung steht eine neue Methode der Krebsbekämpfung. Das Hyperthermieverfahren wurde von Andreas Jordan und seinem Team an der Berliner Charité entwickelt. Mit Hilfe von Eisenoxid-Partikeln im Nanometer-Maßstab wird man in kürze selbst hochgradig bösartige Gehirntumore bekämpfen können, die bislang als unheilbar galten. Die metallischen Winzlinge werden mit dem Zucker Dextran umhüllt, in Wasser gelöst und direkt in den Tumor injiziert. Setzt man den Tumor dann einem oszillierenden Magnetfeld aus, erhitzt sich das Gewebe. Der Tumor stirbt. Bereits im Herbst sollen Patienten mit der Nanotherapie behandelt werden.
Ähnlich spektakulär sind die Forschungsergebnisse des National Institute of Environmental Health Sciences in North Carolina. In den Laboren des Instituts werden Glasplättchen mit Erbgutschnipseln beschichtet. Mit Hilfe dieser Genchips lässt sich der Einfluß von Chemikalien auf die Expression mehrerer Tausend verschiedener Gene beobachten. Folge der Anwendung solcher miniaturisierten Giftwarnsysteme wäre ein drastischer Rückgang von Tierversuchen. Möglich wurde das Vordringen in buchstäblich elementare Bereiche durch das Raster-Tunnelmikroskop, für dessen Erfindung die Forscher Gerd Binning und Heinrich Rohrer (Zürich) 1986 den Nobelpreis erhielten.
Doch trotz allen Fortschritts blicken Forscher immer noch neidisch auf das Naturreich des Nanokosmos. Bakterienwinzlinge, die sich mit 18 000-facher Umdrehung ihrer winzigen Propeller pro Sekunde um das 15-fache ihrer eigenen Länge fortbewegen, versetzen die Wissenschaftler in ebenso ungläubiges Staunen wie Tabakmosaikviren, deren 2130 identische Proteineinheiten sich allein durch molekulare Kräfte zu einem perfekten Gebilde zusammenfügen. Anlass für die Wissenschaftler, bereits von selbstorganisierenden Nanorobotern zu träumen, die sich schließlich auch selbst reproduzieren sollen. Oder von ‚Impfungen' mit Nanoteilchen, die nicht nur das Immunsystem gegen Krankheiten stärken, sondern sogar Resistenzen gegen eine Vielzahl von Giften vermitteln oder das Entstehen von Allergien verhindern. Bekämpfen ließen sich auf diesem Wege auch Stoffwechselstörungen, Kreislaufkrankheiten und degenerative Erkrankungen.
Wer mit Atomen spielt, rührt an den Grundfesten des Lebens. Ein weites Feld also für die Nanotechnologie, deren Visionen die Forschung ebenso revolutionieren werden wie die menschliche Gesellschaft.