Initiatorinnen und Autorinnen des Projektes sind Gisela Möllenhoff und Rita Schlautmann-Overmeyer. Ihr Engagement, ihre weltweiten Recherchen, Kontakte und Gespräche mit Holocaust-Überlebenden aus Münster und deren Angehörigen sicherte der Rat in einem Grundsatzbeschluss als fachlich betreutes Forschungsprojekt ab. Franz-Josef Jakobi und Susanne Freund (Stadtarchiv Münster), Andreas Determann (Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Münster) und Diethard Aschoff (Institutum Judaicum Delitzschianum) übernahmen die Herausgeberfunktion und erarbeiteten mit den Autorinnen ein Werk, das in seiner Form in Nordrhein-Westfalen einmalig ist. Teilband I schildert den Lebensalltag jüdischer Münsteraner in den 1920-er Jahren und wie sie die Veränderungen, Einschränkungen und Demütigungen nach 1935, der Verabschiedung der "Nürnberger Gesetze", bewältigten. Der jetzt vorliegende zweite Teilband thematisiert die Ereignisse vor und während des Novemberpogroms 1938 und die Reaktionen der Verfolgten auf die dramatische Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen. Er beschreibt Isolierung, Ausplünderung, Deportation und die endgültige Auslöschung der jüdischen Gemeinschaft unter der NS-Herrschaft. In einem "Rückblick" reflektieren abschließend Emigranten aus Münster ihr Verhältnis zu Deutschland und zu ihrer ehemaligen Heimatstadt.
Biografien als Leitlinie
Die ehemaligen jüdischen Mitbürger dieser Stadt rücken nicht allein als Opfer ins Blickfeld. Wichtig war den Autorinnen, sie stets auch als handelnde Individuen in ihrem jeweiligen Umfeld zu zeigen. Biografien, schriftliche Selbstzeugnisse und lebensgeschichtliche Interviews bilden die Hauptquellen. Wie in einem Kaleidoskop werden in diesem Buch die Lebenswirklichkeiten in Münster rekonstruiert. Diese Darstellung vor lokalem Hintergrund gewinnt durch die einzelnen Schicksale an Substanz und Authentizität.
Der Band setzt ein mit der Radikalisierung der Verfolgung parallel zu den Kriegsvorbereitungen ab Ende 1937. Die Pogromnacht 1938 verdeutlicht den noch in Münster verbliebenen Juden das hohe antisemitische Gewaltpotenzial der NS-Anhänger. Beschrieben wird im ersten Hauptkapitel die endgültige Entfernung der Juden aus der lokalen und regionalen Wirtschaft und ihre totale Entrechtung, die sich in aller Öffentlichkeit vollzog. Die untergeordneten Organe nutzten bei der Verdrängung der Juden aus dem wirtschaftlichen und kulturellen Leben ihre Handlungsspielräume aus und konnten sich auf die Zustimmung zumindest eines Teils der Bevölkerung stützen.
Bereits seit 1933 begann sich die Lebensqualität der jüdischen Staatsbürger Deutschlands schrittweise zu verschlechtern. Der zweite Buchabschnitt behandelt die Reaktionen der jüdischen Bevölkerung auf ihre zunehmende Entrechtung. Die Mehrzahl der Münsteraner Juden glaubte zunächst einen "Modus vivendi" finden zu können und reagierte mit verstärkter Hinwendung zu ihrer Glaubensgemeinschaft. Mit dem Gedanken der Auswanderung machten sich viele nur zögerlich vertraut. Auf die unmittelbare Bedrohung ihres Lebens nach der Pogromnacht 1938 reagierten die Betroffenen mit forcierten Emigrationsbemühungen.
Leben in der Fremde
Das Leben in der Fremde bedeutete für viele ein Leben in der Illegalität oder war Zwischenstation auf dem Weg in die Vernichtungslager. Die ins europäische Ausland Geflüchteten gerieten oft erneut unter deutsche Besatzung und wurden von dort deportiert. Anderen stand bei ihrem Neubeginn ein hartes Schicksal bevor. So erlitten geflohene jüdische Deutsche als "enemy alien" in einigen Emigrationsländern vorübergehende Internierungen Seite an Seite mit nationalsozialistischen Deutschen.
Ausplünderung und Vernichtung jüdischen Lebens - das dritte Kapitel trägt den Titel "Endlösung der Judenfrage". Dargestellt werden die Vorbereitungen zu den Deportationen in Münster und die persönliche Situation der Münsteraner Juden in den verschiedenen Arbeits- und Vernichtungslagern. "Was sie zu ertragen hatten, war abhängig davon, wann sie von der Vernichtungsmaschinerie erfasst und wohin sie verschleppt wurden", schreiben die Autorinnen in ihrem Vorwort. Die meisten aus Münster deportierten Juden gelangten in die Lager Riga und Theresienstadt.
Der Rückblick ist den Emigranten und Remigranten aus Münster gewidmet. Sie geben im Schlusskapitel Auskunft über ihr gegenwärtiges Verhältnis zu den Deutschen und zu Deutschland. Sie berichten über ihren persönlichen Umgang mit der Vergangenheit und ihre Auffassung vom Begriff "Heimat".
Jüdische Familien in Münster 1918-1945. Teil 2,2: Abhandlungen und Dokumente 1935-1945 von Gisela Möllenhoff und Rita Schlautmann-Overmeyer. Im Auftrag der Stadt Münster, der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Münster e.V., des Institutum Judaicum Delitzschianum der Westfälischen Wilhelms-Universität herausgegeben von Franz-Josef Jakobi, Susanne Freund, Andreas Determann und Diethard Aschoff. Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster, 2001. 78,25 Mark ISBN 3 – 89691-512-6