Ende des 16. Jahrhunderts, so hält eine Brauordnung fest, gab es allein 56 Brauer in Münster. Die Stadt verpachtete ihr Braurecht teilweise an diese selbständige Bierbrauer. Auch Bürger durften für privaten Bedarf Bier herstellen - vorausgesetzt, sie kauften die Zutaten bei der Stadt. Benötigt wurde für das damalige Bier, das Grutbier oder auch Grüsing hieß, eine Gewürzmischung aus bestimmten Kräutern, die Grut. Dieser Kräutercocktail wurde von einem städtischen Angestellten - dem Gruter - nach geheimen Rezept hergestellt.
Zwei Ratsherren trugen im Grutamt die Verantwortung für die Grutakzise, wie die Steuer für Grut und Bier genannt wurde. Das Grutamt - es hatte seinen Sitz hinter dem Rathaus in der heute noch existierenden Gruetgasse - stieg im Lauf der Jahre zu einer finanzkräftigen und einflussreichen städtischen Dienststelle auf. Die Einnahmen aus der Grutbesteuerung waren so erklecklich, das die Stadt Münster damit wesentliche Ausgaben bestreiten konnte.
Zwei der ältesten überlieferten Grutamtsrechnungen Münsters wurden jetzt in der Reihe "Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster" ‚zum Sprechen gebracht‘: Die Autorin und Historikerin Dr. Ilse Eberhardt legt die Edition und Interpretation der Grutamtsrechnungen von 1480 und 1533 vor. Es ist ein facettenreiches Bild des politischen und sozialen Alltagslebens, das sich in ihrer Auswertung spiegelt.
Die Publikation in der Serie "Quelleneditionen" gibt das Stadtarchiv mit Prof. Dr. Franz-Josef Jakobi und Dr. Hannes Lambacher heraus. "Den Herausgebern ist es gelungen, nach langer Zeit wieder ein Werk zur Stadtgeschichte des Spätmittelalters auf den Weg zu bringen", so Kulturdezernentin Helga Boldt. Der Quellenbestand Münsters sei durch die Täuferherrschaft stark ausgedünnt. Umso wichtiger sei die Erforschung der noch wenigen erhaltenen Schriftquellen aus dieser Zeit, so die Stadträtin. "Rechnungen aus dem Mittelalter und der Neuzeit sind eine historische Quelle. Ihre Bedeutung wird von der Wissenschaft mehr und mehr erkannt und geschätzt", so Mitherausgeber Hannes Lambacher. Bei der Lektüre erfahre der Leser nicht nur Einzelheiten über die münstersche Finanzverwaltung des Spätmittelalters, sondern auch über andere städtische Angelegenheiten. So enthält die Rechnung von 1533 viele Hinweise auf die sich bereits anbahnende, für Münster so einschneidende Phase der Täuferherrschaft.
Das Grutamt nahm nicht nur Geld ein - es gab auch Geld aus. "Lieferungen von Getreide und Malz, von Kräutern und Holz mussten bezahlt werden. Städtische Angestellte - Diener, Schreiber, Knechte und Handwerker - erhielten ihren Lohn", nennt Autorin Ilse Eberhardt Beispiele. "Rechtlicher Beistand durch Notare oder Prokuratoren kostete Geld. Ratsherren gingen auf Reisen in benachbarte Städte, um sich mit den Kollegen dort zu beraten und benötigten Zehrgeld. Dem neuen Bischof wurde ein feierlicher Einzug in die Stadt gewährt. Nicht zu vergessen auch die Ausgaben für üppiges Essen und Trinken zur alljährlichen Ratswahl".
Ilse Eberhardt wertete die Grutamtsrechnungen systematisch aus. Tabellarische Übersichten und sachlich geordnete Rubriken bilden Schwerpunkte der städtischen Ausgabenpolitik ab. "Wir erkennen den Stellenwert von Bereichen wie Verteidigung, Repräsentation, Rechtswesen oder des Rentenmarktes", führt die Historikerin, die an anderer Stelle schon Rechnungen der Stadt Osnabrück ausgewertet hat, weiter aus.
Darüber hinaus können Fragen beantwortet werden wie: Welche Währung lag den Rechnungen zu Grunde? Nahm die Stadt noch andere Steuern ein? Kam sie mit den Einnahmen aus oder musste sie Kredite aufnehmen? Wurden die Ausgaben begründet? Gab es eine öffentliche Kontrolle? Gibt es Erkenntnisse über Personen des öffentlichen Lebens und über historische Ereignisse - das Jahr der Täuferunruhen 1534 stand schließlich bevor? War Münsters Haushaltsführung vergleichbar mit der von anderen Städten des gleichen Zeitraumes?
Das vorliegende Buch zeigt Tendenzen und Entwicklungen der Haushaltspolitik Münsters in den Jahren 1480 und 1533 auf. Es verknüpft die in den Grutamtsrechnungen genannten Ereignisse mit dem historischen Hintergrund. Die Edition erlaubt vor allem auch die vergleichende historische Arbeit mit anderen Städten. Und nicht zuletzt möchte es, so die Absicht der Autorin, seine Leserschaft auf weitergehende Forschungserkenntnisse neugierig machen.
Ilse Eberhardt: "Die Grutamtsrechnungen der Stadt Münster von 1480 bis 1533". Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster. Band 19. HG: : Franz-Josef Jakobi, Hannes Lambacher, Aschendorff Verlag Münster, 2002. ISBN 3-402-06642-4