"Zwangsarbeit in Münster und Umgebung 1939 bis 1945" - unter diesem Titel haben das Stadtarchiv und der Geschichtsort Villa ten Hompel in ihrem gemeinsamen Ausstellungsprojekt dem Alltag von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen nachgespürt. Zugleich beleuchten sie das belastete und brüchige Beziehungsgeflecht zwischen der einheimischen Bevölkerung und den aus nahezu allen europäischen Staaten stammenden Fremden. "Wahrnehmungen, Begegnungen, Verhaltensweisen" heißt die Präsentation in ihrem Untertitel.
Zusammenarbeit
"Dank der langjährigen Forschungsarbeit, der systematischen Erschließung der Archivbestände in Münster und der Zusammenarbeit mit benachbarten Städten - darunter Greven, Telgte, Warendorf und Hamm - konnten wesentliche neue Erkenntnisse gewonnen werden", betonte der Leiter des Stadtarchivs, Prof. Dr. Franz-Josef Jakobi. So haben die Historikerinnen und Historiker 180 Zwangsarbeiterlager und "Unterbringungsorte" allein für die Stadt und den ehemaligen Landkreis nachgewiesen - weitaus mehr als bisher angenommen. Alle Lager für Münster und Münsterland sind auf einer Karte markiert. Sie dokumentiert die Standorte und die Einteilung der Lager für verschiedene Personengruppen. Dazu lassen sich zusätzliche Informationen über die Online-Datenbank www.muenster.de/stadt/archiv recherchieren. Sie bildet - ergänzt durch das Kartenmaterial - den ersten Baustein einer Internetpräsentation zum Thema, die das Stadtarchiv zurzeit mit dem Presseamt erarbeitet.
"Die Ausstellung macht mit auditiven, visuellen und gegenständlichen Quellen der Öffentlichkeit erstmals Dokumente zugänglich, die zuvor noch nie gezeigt wurden", unterstrich Münsters Kulturdezernentin Helga Boldt die Leistung der Mitarbeiter von Stadtarchiv und Villa ten Hompel. Schriftzeugnisse und Exponate kommen aus Archiven und Museen und werden von zahlreichen privaten Leihgaben komplettiert.
Zwei Lebensläufe haben die Kuratoren an den Ausstellungsbeginn gesetzt. Eine Belgierin - sie überlebte den Krieg nicht - und eine Ukrainerin stehen mit ihren Daten stellvertretend für Tausende. Geografische Karten informieren über die Herkunftsländer der zwangsweise Verschleppten.
"Arbeit - Disziplinierung - Terror" ist der Hauptteil der Ausstellung überschrieben. Mit zunehmender Kriegsdauer entstand ein Mangel an Arbeitskräften, den der NS-Staat mit Zwangsarbeitern ausglich. In Münster wurden sie für die Rüstungsindustrie und Landwirtschaft vereinnahmt, für Handel und Handwerk, in der Stadtverwaltung und bei der Reichsbahn zwangsverpflichtet. Sie bauten Bunker und räumten Trümmer - und waren ungeschützt doppelt Gefahren und Angriffen ausgesetzt.
Leben mussten sie erbärmlich und menschenunwürdig in mit Stacheldraht umzäunten Gefangenen- und Barackenlagern, in Gaststättensälen, auf Bauernhöfen oder in Privatquartieren. Erbärmlich und menschenunwürdig ihre Verpflegung. "Allein in Westfalen starben von 1941 bis 1945 rund 115 000 Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter an Unterernährung", nannte Dr. Alfons Kenkmann, Leiter der Villa ten Hompel, Zahlen.
Verordnungen, Gesetze, Plakate spiegeln in der Ausstellung die menschenverachtende Grundeinstellung im Umgang mit ausländischen Arbeitskräften und die Angst vor einer "rassischen Gefährdung" des deutschen Volkes. In den Bockholter Bergen ließ die Gestapo zwei polnische Zwangsarbeiter hinrichten; einer von ihnen starb wegen seiner Liebesbeziehung zu einer Grevenerin. Das Grab der Polen befindet sich auf dem Grevener Friedhof.
Spielräume der Mitmenschlichkeit
Andere wenige - auch davon berichtet die Ausstellung in Münster - erlebten den politischen Bedingungen zum Trotz Hilfsbereitschaft der Bevölkerung. Spielräume der Mitmenschlichkeit nutzte ein Gastwirt, der Zwangsarbeiter aufgenommen hatte und dafür von den NS-Behörden eine "Abmahnung" in Kauf nahm. Eine Landwirtsfamilie aus Everswinkel stellte sich schützend vor eine junge Polin und versuchte mutig, Felicia D. vor Repressalien der Polizei zu bewahren. Arbeitskraftreserven presste das NS-Regime in den letzten Jahren auch aus der Kinderarbeit. Diesen Schicksalen widmet die Ausstellung eine eigene Stelltafel. Zwangsweise ihren Familien entrissen, überlebten viele von ihnen nicht den Transport. Selbstmord oder Flucht blieb für Zwangsarbeiter oft der letzte Ausweg. Meist führte auch dieser Weg in den Tod - eine Namensliste der erschossenen Personen ist dafür stummer Zeuge.
Gespräche mit Zeitzeugen
Fast 40 Jahre lang wurde das System der Zwangsarbeit während der NS-Herrschaft verdrängt. Erst seit Mitte der 80-er Jahre gewann das Thema an Aktualität. In ihrem Ausstellungsabschnitt "Zwangsarbeit und Gegenwartsgesellschaft" informieren Stadtarchiv und Villa ten Hompel über die Rückkehr der Überlebenden in ihre Heimat und über die Entschädigungsverfahren. Quellen und Objekte werden ergänzt durch zwei Videofilme und Tonaufnahmen mit Zeitzeugen. Ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter erinnern sich an ihre Verschleppung, die Zeit in Münster und ihre Rückkehr in die Heimat. Die Ausstellung wird von Vorträgen, Filmen und Lesungen begleitet. Mit ihrem Ausstellungsende am 1. März steht sie als Wanderausstellung Städten und Gemeinden im Münsterland zur Verfügung. Sie ist so konzipiert, dass sie um lokalgeschichtliche Inhalte ergänzt werden kann.
Ausstellung "Zwangsarbeit in Münster und Umgebung 1939 bis 1945", 20.1. bis 1.3.2003 im Krameramtshaus der Stadt Münster im Haus der Niederlande, Alter Steinweg; Öffnungszeiten: montags bis samstags 10 bis 17 Uhr bei freiem Eintritt; Internet: www.muenster.de/stadt/archiv und www.muenster.de/stadt/villa-ten-hompel
Fotos: Arbeitskarte einer Zwangsarbeiterin aus der Ukraine
Zwangsarbeiter aus den Niederlanden 1943 bei Instandsetzungsarbeiten
"Russenkommando" bei Aufräumarbeiten in der Schillerstraße
Zwangsarbeiter warten vor dem Lotharinger Kloster auf ihren Arbeitseinsatz