Ein kontinuierlicher Prozess
Im Vordergrund stand zunächst, für die Idee der Kulturhauptstadt in Münster und der Region zu werben - wenn hier von Münster die Rede ist, ist die Region übrigens immer eingeschlossen. Daran hat das Team im ersten Quartal dieses Jahres gearbeitet. Es sollte nicht darum gehen, "von oben" Ideen und Projekte für die Bewerbung zu entwickeln, sondern den Weg zum Ziel zu machen: Bis 2010 soll ein kontinuierlicher Prozess in Gang gesetzt werden, der sich nicht mehr stoppen lässt. Denn auch wenn Münster vielleicht nicht Kulturhauptstadt wird: Die Stadt und ihre Bürger sollen auf jeden Fall Nutznießer sein.
Die Erfolgsgeschichte
Im zweiten Quartal entwickelten Projektteam, Verwaltung und Bürgerschaft in enger Zusammenarbeit die vier aufeinander aufbauenden, sich ergänzenden Schritte, mit denen sich Münster der Kulturhauptstadt nähert. Sie stellen keine Bewerbung im üblichen Sinne dar. Es gibt keinen Lebenslauf, kein Passfoto, keine Zeugnisse. Zumindest nicht in der Form, in der man sie erwartet. Die Bewerbung beginnt vielmehr mit einer Erfolgsgeschichte. Der münstersche Autor Burkhard Spinnen - bekannt z. B. durch den Klagenfurter Bachmann-Preis, den er nicht nur trägt, sondern in dessen Jury er auch sitzt - schreibt eine Geschichte über Münster. Seine Geschichte. Warum er immer noch hier lebt, warum er nicht nach Berlin gezogen ist, wo alle Literaten wohnen und arbeiten. Warum es ihm in Münster gefällt, und was ihm gar nicht an Münster behagt. Und seine Geschichte steht für viele münstersche Biografien.
Der Laufplan
In der Bewerbung folgt der so genannte Laufplan. Er beschreibt, den langen Weg zur Kulturhauptstadt, den Münster gehen will. Im Jahr 2010 steht Deutschland als Gastgeberland der Kulturhauptstadt fest. Münster bewirbt sich bis März 2004 zunächst auf Landesebene, gegen die Konkurrenten Köln und Ruhrgebiet. Der Sieger des Bundeslandes wird über das Auswärtige Amt an den Bundesrat weitergegeben. Im Herbst 2005 entscheidet dieses Gremium, welche Städte - es sind auch mehrere möglich - Deutschland der Europäischen Union als Kulturhauptstadt Europas 2010 vorschlägt. Die Entscheidung fällt voraussichtlich im Jahr 2006. Der Laufplan zeigt, warum und wie Münster Europas Kulturhauptstadt 2010 werden will und wird.
Die "Liebesbriefe"
Der dritte Schritt ist der wohl ungewöhnlichste in einer Bewerbung. Das Projektteam hat 15 Bereiche - Internationalität, Geschichte, Bildung, Kirche/Kirchliches Leben, Eine Stadt in Bewegung, Stadtentwicklung/Baukultur, Bildende Kunst, Darstellende Kunst, Literatur, Film, Musik, Brauchtum und Heimat, Lebensart, Münster und Westfalen, Bürgerschaftliches Engagement - definiert, zu denen "Liebesbriefe" entstehen. Subjektive, literarische, kurze Statements zu Münster, die Fakten und Meinungen über das kulturelle Leben enthalten. Wie genau das aussieht? Die Form von Liebesbriefen an die Stadt kann man nicht anordnen. Sie ist den drei- bis fünfköpfigen Redaktionsteams überlassen, die aus Menschen bestehen, die in unterschiedlicher und immer hervorragender Weise mit Münster verbunden sind. Die Teams finden sich jetzt mit ihren "Moderatoren" zusammen.
Spitzenkultur und Subkultur
Manche Themen fehlen. Aber die "Liebesbriefe" sollen Akzente setzen. Es sollen die Strukturen geschaffen werden, die nachhaltige kulturelle Leuchttürme erst ermöglichen und neben Breitenangeboten stehen sollen. Natürlich gehören die nach außen wirkenden Skulpturen. Projekte und der Westfälische Friede dazu, die Wiedertäufer und der Ring der Nibelungen, ebenso aber die H-Blockx und der USC, das Dockland und das Pumpenhaus. Übrigens, folgendes ist dem Projektteam klar: Mit jeder Institution, mit jeder Veranstaltung, mit jedem Künstler, die es nennt, fehlt der Platz für andere. Die Bewerbung ist in vielerlei Hinsicht ein qualifizierender Balanceakt.
Zum Beispiel auch beim Thema Jugend. Soll es ein eigenes Kapitel bekommen, war die Frage. Nein, denn die Liebesbriefe beinhalten - quasi als Folie - Themenkomplexe wie Nachhaltigkeit oder die Verhältnisse zwischen Jung und Alt, Tradition und Moderne, Heimat und Internationalität - so wie es die Kriterien der EU verlangen und wie es auch vernünftig ist. Auch aus einem anderen Blickwinkel machen zu starre Unterscheidungen keinen Sinn. Jeder Münsteraner und jeder Besucher erlebt die Stadt anders. Geht man mit offenen Augen durch Münster, liest die Programme der Kulturveranstalter, spricht mit den unterschiedlichen Bürgern der Stadt, stellt man eines fest. Es gibt das eine Münster nicht. Es gibt "viele Münster", die wiederum jedes für sich eine kulturelle Definition der Stadt beanspruchen.
Die Bestandsaufnahme
Daten, Zahlen, Fakten liefert der vierte Schritt, der sozusagen das Fundament der Bewerbung darstellt. Die Verwaltung erstellt eine Bestandsaufnahme der Kulturlandschaft Münsters. Geschichte, Gegenwart und Zukunft beispielhafter Kapitel sollen darin aufgeführt werden, sollen zugleich den Liebesbriefschreibern bei ihrer Arbeit helfen.
Neben der Struktur, die eine Vermischung der Bereiche und eine gegenseitige Befruchtung geradezu fordert, ist die einzige formale Vorgabe, dass es keine gibt. Um die verschiedenen "Stadtansichten" zusammenbringen, ohne sie zwanghaft zu vermählen, sucht und fördert die Bewerbung den Dialog. Sie soll affirmativ sein, Klischees positiv bedienen, Postkartenmotive liefern, zugleich aber Störungen des Bildes geben, Vorurteile ins Gegenteil verkehren. Dafür steht neben den Redaktionsteams eine Gruppe münsterscher Fotografen bereit, die seit einigen Wochen bei der Arbeit ist. Sie schafft - auch im Zusammenspiel mit den Redaktionsteams - ein Bild von Münster, das jugendlich und gesetzt zugleich ist, innovativ und allseits bekannt, zukunftsorientiert und traditionell, entscheidungsfreudig, dynamisch und überraschend.
Die mediale Umsetzung
Texte und Bilder präsentiert das Team zunächst in Form einer Internet-Homepage, dem so genannten "Muttermedium". Was anschließend folgt? Ein Buch vielleicht, eine Broschüre, ein Film, Plakate... Diese Entscheidung fällt im Laufe des Prozesses. Grundlage aber, und das macht die Stärke und Flexibilität der Bewerbung aus, sind subjektive, mutige, überraschende Texte und Bilder. Die Bewerbung ist keine Verwaltungsvorlage. Sie ist ein Text, der Spaß machen soll.
Auf Grundlage all dieser Eindrücke und Feststellungen soll die Entwicklung und Budgetierung der Projekte folgen, die bis 2010 angestoßen und umgesetzt werden sollen. Auf dieser Grundlage, denn Münster geht die Bewerbung - wie gesagt - sorgfältig, organisch und strukturiert an. Das größte Problem für die Bewerbung - und für die Stadtentwicklung - wäre, wenn sich Münster inkonsequent auf Dutzenden von Schauplätzen tummelte. Deswegen hat das Projektteam aus den 15 genannten Bereichen eine weitere Auswahl getroffen: Die sechs klar definierten Schwerpunkte Universität, Geschichte, Darstellende Kunst, Lebensart, Hafen und Hawerkamp sowie Kunst im öffentlichen Raum. Diese sollen in Spitze und Breite nachhaltig entwickelt werden.
Die Chancen sind groß
Ob Münster eine Chance hat? Natürlich. Denn sonst würde es sich nicht bewerben. Die Stadt konkurriert nicht mit Paris oder London. Sondern nur mit deutschen Städten. Offensichtlich ist auch hier, dass Münster keine Hauptstadt ist. Aber darum geht es bei der Aufgabe auch gar nicht. Der Titel "Kulturhauptstadt Europas" meint eine bewusste Fokussierung auf die differenzierte, gewachsene, nachhaltige Kultur einer Stadt, eines mittelgroßen Oberzentrums einer klar definierten Region. Eine Beschreibung, wie für Münster gemacht.