Bis zur Wende 1989 gehörte Topol zu den Stars des literarischen und musikalischen Untergrunds, nachdem er - geboren 1962 - bereits als Sechzehnjähriger die Charta 77 unterschrieben hatte. Als Journalist, Lyriker und Erzähler hat er sich längst einen europäischen Namen gemacht. Ein Gedichtband und drei seiner Romane sind in deutscher Übersetzung erschienen, zuletzt "Nachtarbeit", eine bizarres Jugend-Buch, das über das Jahr 1968 hinaus in die noch tiefere Vergangenheit der nationalsozialistischen Besatzungszeit führt.
Die "Zeit" hat die allgemeingültige Dimension des Romans herausgestellt: "Wenn Kinderseelen den Wirren der großen Geschichte begegnen, kann sich ihr Weltbild zugleich dramatisch erweitern oder verzerren. (...) Womöglich werden die Respektspersonen von den Agenten der höheren Macht sogar kommandiert, gedemütigt, oder es geschieht ihnen noch Schlimmeres. So verwandelt sich die Welt für die Kinder zurück in eine Wildnis, in der sie sich durchschlagen müssen als kleine, zitternde Abenteurer oder kesse Schelme."
In einem Aufsatz mit dem Titel "Was für ein Bastard bin ich?" hat Jachym Topol mit bissigem Humor eine Erfahrung reflektiert, die er bei seinen Lesungen gemacht hat: "Mein Europa: Ein Schriftsteller aus Tschechien gilt als Westeuropäer. Oder als Osteuropäer. Je nachdem, wo er liest." In Kiew habe er als Westautor gegolten, in der mexikanischen Wüste bei den Chalavapajas sei er sich seiner mitteleuropäischen Identität vollkommen sicher gewesen, und in Hamburg habe er seine Bücher in einem Regal mit der Beschriftung "Osteuropa" entdeckt.
Topol: "Eine größere Zahl von tschechischen und wohl auch polnischen und ungarischen Literaten könnte darüber ein wenig in Aufregung geraten: Was bitte? Wir sind doch Mitteleuropäer! Mit einer demokratischen und kulturellen Tradition und so weiter. Wer will uns da aus der wohlhabenden und glücklichen Gemeinschaft der westeuropäischen Schriftsteller ausschließen? Aber mir gefällts. Der Osteuropäer. Klingt doch ein bisschen geheimnisvoll, wild, gefährlich, oder? Ein bisschen rückständig, primitiv, absonderlich. Für mich klingts gut. Na, aber ich bin ja auch aus Prag!"
Vorverkauf: Münster Information, Klemensstraße 10 (Tel. 4 92-27 14); Rosta Buchladen, Aegidiistraße 12 (Tel. 4 49 26). - Die nächsten Veranstaltungen des Literaturvereins: Mittwoch, 23. Juni, Wibke Bruns liest aus "Meines Vaters Land", Vortragssaal Landesmuseum; Dienstag, 29. Juni, Tomas Rosenboom liest aus "Neue Zeiten", Lesesaal Stadtbücherei.
Bildtext:
Jachym Topol liest in der Stadtbücherei. - Foto: Veröffentlichung honorarfrei.