Münster, oft auch als "Schreibtisch Westfalens" apostrophiert, ist traditionell von Verwaltung und Dienstleistung geprägt. Dennoch hat es in dieser Stadt ab dem späten 19. Jahrhundert eien leistungsfähigen Industriesektor gegeben, der - wenn auch klein im Umfang - immer einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor ausmachte. Anlass genug für das Museumsteam um Direktorin Dr. Barbara Rommé, dieses Thema erstmals in Kooperation mit der Initiative Industrie in Münster in den Mittelpunkt zu rücken. Das Spektrum umfasst die ersten Anfänge, Gründerjahre und Aufstieg der Betriebe bis zum Dritten Reich und seinen Kriegszerstörungen. Es führt vom Wiederaufbau und Wirtschaftswunder bis in die Gegenwart mit Hochtechnologie und Globalisierung.
Vom münsterschen Hafen in alle Welt
Die Ausstellung setzt ein um 1870 mit der Ansiedlung der ersten Unternehmen vor allem aus der Nahrungs- und Genussmittelindustrie, die auf die gehobenen Konsumbedürfnisse des Bürgertums reagiert. Ein Orignal-Flügel und ein wandfüllendes Gruppenfoto mit der Belegschaft der münsterschen Pianofortefabrik Knake erinnert an jene Jahre: Festlich gewandete Mitarbeiter posieren anno 1908 stolz zum 100. Firmenjubiläum. Knake zählte zu den führenden Klavierbauern Deutschlands und exportierte die Flügel vom münsterschen Hafen in alle Welt.
Wenige Schritte weiter sieht sich der Ausstellungsbesucher inmitten eines typischen Fabrikarbeitsplatzes aus den 1950-er Jahren: Werkbank, Zylinder, Schlüssel und Stempelkasten stehen für die Schloss- und Baubeschlagfabrik von August Winkhaus, die zu den frühesten Industriebetrieben in Münster gehörte. "Traditionell starkes Gewicht hatte in der Behördenstadt das Druckgewerbe", erläutert Dr. Axel Schollmeier, der mit Dr. Helene Albers und Patrick Schmitz die Ausstellung kuratiert. Druckerpresse und ein fotografischer Auszug aus dem damaligen Arbeitsalltag der Verlage Aschendorff und Fahle sind dafür anschauliche Beispiele.
Es sind die originalen Firmenprodukte, die oft zum ersten Mal öffentlich gezeigt, den Besucher vertraut machen mit vergangenen Arbeitswelten: Aus Draht gewebte Produkte, Pflastersteine im Straßenbau, Brauerei-Ansichten, eine Motorradzapfsäule. Immer wieder: Wissenswerte Informationen an detailgetreuen Modellen und multimediale Inszenierungen zu markanten wirtschaftlichen Etappen. Online-Dokumentationen präsentieren Unternehmen und ihre Geschichte, informieren über Arbeiterschaft und ihre Stellung im sozialen Gefüge. Auf einem interaktiven Stadtplan sind per Steuerpult alle Industriebetriebe mit ihren Standorten um 1900 abrufbar. Am Modell des Stadthafens, der mit der Eröffnung 1899 das Fundament für die wirtschaftliche Weiterentwicklung Münsters legte, ist der Stand von 1935 abrufbar.
Krieg und Wiederaufbau
Unübersehbar ist die Zäsur. Am Anfang steht das Ausstellungsplakat "Deutsches Schaffen" der Gaupropaganda-Leitung der NSDAP von 1939. Nach Kriegsbeginn hielt die NS-Diktatur wirtschaftliche Produktion nur durch den Einsatz von Zwangsarbeitern aufrecht. In der Ausstellung geben Karteikarten mit Passbildern den in Münster in Gefangenschaft gehaltenen sowjetrussischen "Fabrikarbeiterinnen" und "Fabrikarbeitern" ein Gesicht.
Über den Wiederaufbau - symbolisch hier der Bau des Stadthauses I Ende der 50er- Jahre - leitet der Rundgang zur Gegenwart. High-Tech und Innovation, Umweltschutz und Neue Technologien zeigen "Industrie in Münster" im 21. Jahrhundert. Der Stoff, aus dem Kiepenkerle sind, ist in diesem Abschnitt nicht aus blauem Tuch. Das Münster-Markenzeichen kommt in Armaflex daher, einem Dämmstoff der Zukunft.
Industriebeschäftigte vor der Kamera
Künstlerischer Höhepunkt der Ausstellung ist zweifelsohne eine Videoinstallation. Rainer Klaholz, Absolvent der Kunstakademie Münster, lässt darin 200 in zehn münsterschen Industriebetrieben Beschäftigte zu Wort kommen. Von neun Monitoren, die sich wiederum gestalterisch zu einem Ganzen fügen, beantworten sie Fragen zu ihren Arbeitsplätzen. An exponierter Stelle trifft der Ausstellungsbesucher also auf die Menschen, die heute stellvertretend für "Industrie in Münster" stehen.
Die Ausstellung ist bis 17. Februar im Stadtmuseum Münster zu sehen; Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags 10 – 18 Uhr; Eintritt frei; Katalog: 5 Euro / 9,78 Mark.