Die Spannung zwischen Fremdem und Eigenem ist das Movens der "Denkgedichte" Dieter M. Gräfs. Von den Rändern Europas, von Kleinasien und den USA aus erschließen sich dem 1960 geborenen Autor neue Zusammenhänge der abendländischen, speziell der deutschen Geschichte. Hart und schroff montiert Gräf Momente persönlicher Lebenserfahrung und historischen wie literaturgeschichtlichen Wissens.
Die Einzelworte sind aufgeladen mit vielschichtiger Bedeutung, der Vers ist subtil rhythmisiert, dabei stockend und hart. Kaiser Barbarossa, der während des Kreuzzuges im Fluß Saleph ertrank, und Netaj Bose, der mit den Nazis paktierende indische Freiheitskämpfer, werden ebenso zusammengedacht wie Andreas Baader und Heinrich von Kleist, wie Lady Di und Diana, die Göttin der Jagd.
"Die schnellen Sprachen müssen in den langsamen Sprachen ausgebremst werden", schreibt Gerhard Falkner, 1951 geboren, im "Nachwort statt eines Nachworts" zu seinem Band "Endogene Gedichte. Grundbuch" programmatisch. Das Gedicht ist für Falkner "Kopfmusik", das im Gegensatz zur Unterhaltungsindustrie stete Aufmerksamkeit verlangt, sich dem Verwendungszusammenhang, der Reklame und dem Konsum entzieht.
Seine Lyrik lebt von der Spannung zwischen formaler Strenge und explosiver Emotion, existenzieller Gestimmtheit. Sie vereinigt sinnliche Schönheit mit bissig-präziser Sozial-, Sprach- und Medienkritik. Ironisch, nicht ohne Schadenfreude, reflektiert Falkner den therapeutischen Wert und die gesellschaftliche Missachtung der Poesie: "unsere Gedichte werden vergessen / werden, - bleiben wird allein / das Kopfweh / derer, die sie nicht behalten haben".
Seit seinem Bachmann-Preis 1995 hat Franzobel, 1967 in Oberösterreich geboren, "Bücher im Dutzend hervorkarnickelt", darunter auch noch weithin unbekannte Gedichte. Sie mischen barocken Ton und Metaphorik mit den Rhythmen des Hip-Hop und Rap, hohen Ton mit Vulgärdeutsch und neu erfundenen komisch-absurden Wortgefügen.
Franzobel schreibt Grotesken und Satiren, so komisch wie traurig, so bitter wie verrückt und bös. Pessimistisch ist sein Blick auf die Geschichte, denn noch heute handeln die Menschen nach dem Muster des Mythos, wie es etwa das Grundbuch Europas, die Odyssee, zeichnet. Im Blick auf den dummen Riesen Polyphem, der die Kameraden des Odysseus frisst, heißt es: "Ausländerhass, / bedeutet ja nicht, / die Gäste zu fressen. Sogleich."
Lesung mit Lutz Seiler, Gerhard Falkner, Ulf Stolterfoht, Franzobel, Dieter M. Gräf und Kathrin Schmidt am 16. Mai um 20 Uhr im Kleinen Haus der Städtischen Bühnen; Moderation Christoph Buchwald; Karten Theaterkasse, Telefon 02 51 / 41 467 - 100.