Norbert Hummelt eröffnet das Lyrikertreffen am Donnerstag, 3. Mai, um 17 Uhr im Kleinen Haus der Städtischen Bühnen Münster mit einem Wort-Bild-Vortrag über einen der faszinierendsten, sprachgläubigsten und zugleich sprachkritischsten Dichter der jüngsten Vergangenheit, den im vergangenen Jahr verstorbenen Österreicher Ernst Jandl. Aus seinem eigenen neuen Gedichtband "Zeichen im Schnee" liest Hummelt am selben Abend um 20 Uhr.
Sprachspiele gegen das Selbstverständliche Die Grenzen der Sprache als Grenzen der Welt, die Regeln der deutschen Sprache als Abbild und Vorbild der gesellschaftlichen Strukturen entdecken die Gedichte und essayistischen Arbeiten von Barbara Köhler. Die 1959 nahe Chemnitz geborene Autorin dekonstruiert die Selbstverständlichkeiten und Eindeutigkeiten der gängigen Sprachwendungen im poetischen Spiel mit der Sprache. Es zersetzt die gewohnten, männlich dominierten Hierarchien, die die Individuen von einander, von sich selbst und den Dingen entfremden. In "Wendungen / die verwandeln die EinRichtung", öffnet sie den Wortschatz, die Grammatik und Syntax des Deutschen: "Alles Verlässliche verlassen, / die benutzten Sätze, das Besagte / verschweigen bis es geht, / bis zu den Dingen geht [...] // So wird alles anders, / so wird es Zeit: / wir begegnen im Anderen / einander".
Barbara Köhler liest neue Gedichte und Texte aus "Blue Box" sowie "Wittgensteins Nichte" am Donnerstag, 3. Mai, um 20 Uhr im Kleinen Haus der Städtischen Bühnen.
Oden und lyrisches Ächzen Drei der ältesten und strengsten lyrischen Strophenformen binden in den Gedichten von Urs Allemann "die Scherben alle / des zersprungenen Kopfs". Die Oden des 1948 geborenen Schweizers stehen in der Spannung von Tradition und Experiment. Im Miteinander von pathetisch-hoher Form einerseits und vieldeutig zersprengten Worten und Sätzen andererseits sind sie ein gewaltiges "lyrisches Ächzen". Die Sprache fungiert als Mittel der Aggression und Zerstörung, doch zugleich als Medium der Existenz und einer zuvorderst sprachlichen, grundsätzlich verletzten Identität. Das Erhabene bewahren die Oden Urs Allemanns negativ, als sein Zerrbild: "Schupp mir die Worthaut ab. / Es ist nichts drunter. Das Wort Wunde / schluckt das Wort Wunder. Da. Vogelscheisse."
Urs Allemann liest aus seinem gerade erschienenen Gedichtband "Holder die Polder" am Donnerstag, 3. Mai, um 20 Uhr im Kleinen Haus der Städtischen Bühnen Münster.
Worte wie Zinkblumen Oswald Eggers Gedichte sind Rede. Mündlichkeit und Präsenz, wie sie am Ursprung der Dichtkunst stehen, sind ihr Wesenszug. Die Lesungen des 1963 geborenen Südtirolers sind daher Performances im besten Sinn. Der Autor trägt das gedruckte Wort vor und improvisiert frei darüber. Oswald Egger schafft Redegewebe, Brand-"Herde der Rede", in denen er die Texte, die ihm begegnen - das Deutsche, Fremdsprachen, die Literaturen der Welt - zum Glühen bringt und einschmilzt, zu einem hermetischen "Moiré" verwebt. Aus Sprache entstehen tausende von "Stanzen", traumverwandte Lebens-Räume in Strophen zu neun Zeilen. Nicht als Subjekt der Sprache versteht sich der Dichter, sondern als ihr Medium und das Gedicht als sein Mittel, "um à jour einzugehen in jenes selbstredende Moiré der Rede [...] es ginge um, ja, ein Spektrum von ungeheurerem als der Mensch ist, leibeigene Begeisterung aber sei, und dauerhafter als erzählenswert werdere diese hier, Worte wie Zinkblumen, Zukunft der Poesie. Wir gehen gegen Unendlich und hören auf, endlich, Gedichte zu schreiben."
Oswald Egger tritt am Freitag, 4. Mai, um 20 Uhr im Kleinen Haus der Städtischen Bühnen auf.
Absurde Welt in Wort-Bild-Collagen Schmerzhaft lustig, scheinbar unsinnig und naiv sind die Gedicht-Bilder Herta Müllers, collagierte Einheiten aus Text und Bild. Die Einzelwörter hat die Dichterin, wie man es von alten Erpresserbriefen kennt, aus politischen Magazinen ausgeschnitten und aufgeklebt, jedem Text eine Bild-Collage zur Seite gestellt. Die dadaistisch-surrealistische Ästhetik, die diese Wort-Bild-Gebilde der 1953 in Rumänien geborenen, politisch verfolgten und 1987 in die Bundesrepublik Deutschland emigrierten Dichterin auszeichnet, ist mit ihrer Erfahrung des totalitären Staates und seiner Geheimpolizei ganz individuell begründet. Die verdeckte und offene Verfolgung durch die Securitate machte der Dissidentin die vertraute Umgebung, Menschen und Dinge, fremd und trieb sie nahezu in den Wahn. "Die Welt", so Herta Müller, "baute sich Stück für Stück zusammen gegen den Verstand." Die poetische Konstruktion einer offensichtlich absurden Welt im Wort-Bild-Gebilde und sein bitterer Witz sind die Mittel der Dichterin, mit ihrem "Fremden Blick" zu leben: "es war Blödsinn / aber keiner lachte / alles musste wehtun / wenn es lustig war". Ein andermal reflektiert Herta Müller den Verlust der Selbstverständlichkeit und die poetische Selbsterhaltung in Versen in der Art eines Kinderabzählreims: "meine liebe Mutter spinnt / hält den Waschtisch für ihr Kind / und mein lieber Vater spinnt / mäht im Garten kahlen Wind / und ich habe mir gedacht / gib gut acht wie man es macht".
Herta Müller liest und zeigt die Wort-Bild-Collagen aus ihrem neuen Buch "Im Haarknoten wohnt eine Dame" am Samstag, 5. Mai, um 20 Uhr im Kleinen Haus der Städtischen Bühnen Münster.
(www.lyrikertreffen.muenster.de; Karten: Theaterkasse der Städtischen Bühnen, Neubrückenstraße 63, Tel. 02 51 / 414 67-100)