"Auf der Grundlage der bei dem Besuch gewonnenen Erfahrungen wird von Stadtarchiv und der Villa ten Hompel ein Begegnungs- und Forschungsvorhaben entwickelt, so wie es der Rat in seiner letzten Sitzung beschlossen hat", erläutert Stadtarchivdirektor Prof. Dr. Franz-Josef Jakobi. Durch die persönliche Kontaktaufnahme mit den Betroffenen könne erstmals die Erfahrungs- und Leidensgeschichte dieser Menschen erschlossen und anschließend dokumentiert werden. Begleitet wurden die beiden Verwaltungsmitarbeiter von der Historikerin und Vorsitzenden der Regionalgruppe Westfalen des "Vereins gegen Vergessen - für Demokratie", Dr. Gisela Schwarze, und Pfarrer Werner Lindemann, der in Privatinitiative ein Patenschaftsprojekt für die Opfer ins Leben gerufen hat.
"Die Menschen haben das Bedürfnis, endlich über die belastende Vergangenheit zu sprechen", formulieren Susanne Freund und Karl Reddemann ihre ersten Begegnungen in Minsk. Jeder einzelne Schicksalsbericht könne dazu beitragen, das Bild zu vervollständigen. Es waren vielfach Kinder, zwischen 12 und 17 Jahre alt, die 1943/44 von weißrussischen Hilfspolizisten auf der Straße verhaftet und in Viehwaggons verfrachtet wurden. Nur wenigen gelang die Flucht in ein Versteck. Den meisten blieb nicht einmal die Zeit, um sich von Eltern und Geschwistern zu verabschieden. 30 Tage dauerte die Fahrt nach Deutschland - in die Lager, Betriebe oder auf die Bauerhöfe.
Die meisten litten Hunger, erkrankten auf Grund der hygienischen Bedingungen. Zwei Zeitzeugen berichteten über die mangelhaften Zustände im Reichsbahnlager bei Westbevern, wo in den letzten Kriegsjahren Zwangsarbeiter aus Polen und Weißrussland in einer großen Baracke leben mussten. Sie erinnern sich an ihre Zwangstätigkeit: Ausbesserung von Schienen auf der Bahnstrecke Münster/Osnabrück und Trümmerbeseitung. Bunker durfen Zwangsarbeiter nicht nutzen. Ihnen blieb oft nur der Sprung in den Graben, um sich vor dem Bombenhagel zu schützen.
Nach Kriegsende erfolgte über ein Lager in Warendorf die Rückführung in die russische Heimat. Dort erwarteten sie aber nicht nur von den Deutschen zerstörten Dörfer, sondern vor allem die Verhöre durch den NKVD, die damalige Geheimpolizei. Nach Deutschland Verschleppte galten während des Stalinismus als Kollaborateure. Eine höhere Schulbildung oder gar der Besuch von Universitäten blieb fortan für sie unerreichbar; die meisten von ihnen verdingten sich als Landarbeiter in den Kolchosen. Fast alle schwiegen aus Angst über ihre Zeit in Deutschland, auch auch bei den engsten Familienangehörigen. "Wenn mein Mann gewusst hätte, dass ich in Deutschland war, hätte er mich nicht geheiratet," vertraute Valentina Timofeevna Isotova den beiden Historikern aus Münster an.