Zum ersten Mal werden darin Ergebnisse aus dem Domburg-Projekt veröffentlicht. Noch bevor im Jahresverlauf Fachpublikationen erscheinen, kann sich die Öffentlichkeit in die Aufsehen erregenden Forschungen zu den Anfängen der Stadt Münster vertiefen.
Die Herausgeberinnen, Dr. Barbara Rommé (Stadtmuseum Münster) und Dr. Gabriele Isenberg (Westfälisches Museum für Archäologie), haben das Begleitbuch interdisziplinär angelegt. Historiker, Archäologen, Sprachwissenschaftler und Kunsthistoriker von Rang zeichnen den Kulturwandel im heutigen Westfalen vom 7. bis 10. Jahrhundert nach. Exkurse vertiefen Einzelaspekte der frühen Bistums- und Stadtgeschichte. Überdies richtet sich der Blick auf wertvolle Leihgaben, die aus internationalen Sammlungen der Ausstellung ihr unverwechselbares Profil geben.
Möglich gemacht wurde das Kooperationsprojekt zwischen Stadtmuseum und Westfälisches Museum für Archäologie durch die Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen und des Bistums Münster. Gefördert hat auch die Kunststiftung NRW mit einem namhaften Beitrag.
Es sind die neuesten Forschungsresultate, die dem Band seinen besonderen Wert geben. Hervorzuheben sind vor allem die Erstveröffentlichungen der Ergebnisse des Domburg-Projektes oder etwa unveröffentlichte Karten zur Frühgeschichte dieser Stadt. Darunter ist eine Ansicht mit den mutmaßlichen Standorten der Kirchen um 800. Auch sie basieren auf den Auswertungen der Grabungen ab 1999 im Bereich der Domburg. Neueste Forschungen zur Frühgeschichte der Stadt Münster legt Dr. Aurelia Dickers (Städtische Denkmalbehörde) am Beispiel jüngster Grabungen an der Kirche St. Marien-Überwasser vor.
Kulturwandel in Westfalen
„Vom pagus Saxoniae zur parochia Mimigernaford“ – unter diesem Titel zeichnen Autoren den Kulturwandel in Westfalen nach. Durch die Christianisierung im 8. und 9. Jahrhundert veränderten sich Religion und Sozialgefüge, Alltagskultur und Wirtschaft - eben alle Lebensbereiche.
Dr. Christoph Grünewald (Amt für Bodendenkmalpflege) nimmt Siedlungen und Bestattungsplätze des Münsterlandes zur Zeit Liudgers in den Fokus. Professor Dr. Heinrich Tiefenbach (Universität Regensburg) zeigt den Wandel der Sprache auf. Mit der Christianisierung und den ersten Klostergründungen kamen Mönche in das altsächsische Sprachgebiet, die die Kunst des Schreibens betrieben. Geschrieben wurde zunächst fast immer in lateinischer Sprache. Bei der Wiedergabe der Namen von Personen und Siedlungen war jedoch die volkssprachige Form unabdingbar. Der Beitrag behandelt die wesentlichen Überlieferungen des Altsächsischen, insbesondere die für Westfalen wichtige Quellen.
Liudger in neuem Licht
„Liudgerus peregrinus – Spuren eines Heiligen zwischen York, Rom und Münster“ – im zweiten Teil des Bandes widmen sich sechs Beiträge Liudger. Ausführlich zeichnet Kirchenhistoriker Professor Dr. Arnold Angenendt den Lebensweg des Missionars, Bischofs und späteren Heiligen nach. Der Leser erhält einen intensiven Einblick in die Quellen, insbesondere in die Lebensbeschreibungen Liudgers und die von dem Bischof selbst verfasste Vita seines Lehrers Gregor von Utrecht.
Zentrales Thema in der Ausstellung im Stadtmuseum ist die Bischofsweihe Liudgers. Dr. Nikolaus Gussone beleuchtet eingehend diesen Aspekt. Dr. Jan Gerchow (Ruhrlandmuseum Essen) stellt aktuelles Forschungswissen zur Beziehung Liudgers nach England zur Diskussion.
Stadtgeschichte auf den Kopf gestellt
Der dritte Teil des Begleitbuchs konzentriert sich auf die frühe Geschichte des Bischofssitzes: „Die Entstehung der Stadt: Mimigernaford – Monasterium“. In sieben Beiträgen kommen hier Wissenschaftler des so genannten Domburg-Projekts zu Wort. Seit 1999 waren sie mit der systematischen Aufarbeitung älterer Grabungen im Bereich der Domburg betraut. Ihre Erkenntnisse führen zu einer grundlegend neuen Rekonstruktion der Anfänge der Stadt Münster. Der Leser gewinnt einen aktuellen Überblick über die Entstehung der Kloster- und Kirchengebäude, der profanen Bebauung sowie die Bestattungen im Bereich des Domplatzes.
Dr. Martin Kroker (Museum in der Kaiserpfalz, Paderborn) beleuchtet die Frage der profanen Bebauung der Domburg. Er zeigt auf, dass frühere Überlegungen zu einer sächsischen Siedlung des 7./8. Jahrhunderts auf dem Domhügel nicht bestätigt werden können. Die zahlreichen Grubenhäuser, die im Bereich des Domplatzes gefunden wurden, gehören erst in das 9. und 10. Jahrhundert. Nach neuen Datierungsmethoden dürfte darüber hinaus auch die gesamte Befestigung der Domburg erst um 900 errichtet worden sein.
Diese Ergebnisse werden gestützt durch einen Beitrag von Dr. Bernd Thier (Stadtmuseum Münster), der eingehend das Fundspektrum im Bereich der Domburg beleuchtet. Er zeichnet ein Bild vom Leben in Mimigernaford in der Zeit vom 9. bis zum 12. Jahrhundert. Darüber hinaus leistet er durch die exakte zeitliche Einordnung der 40 000 bis 50 000 Einzelfunde - vor allem Keramikfragmente und Tierknochen - einen grundlegenden Beitrag zur Datierung.
Als ausgewiesener Experte auf dem Gebiet der Keramik erschließt er aus speziellen Keramikvorkommen die Bedeutung des Ortes Mimigernaford/Münster als Bischofssitz. Der Beitrag beantwortet somit die spannende Frage, ob man die nur etwa 14 bis 17 Jahre währende Anwesenheit Liudgers in Mimigernaford (zwischen 792/795 und 809) mit archäologischen Mitteln nachweisen kann.
„805: Liudger wird Bischof – Spuren eines Heiligen zwischen York, Rom und Münster“, Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung im Stadtmuseum Münster, hg. v. Barbara Rommé u. Gabriele Isenberg, Mainz (Verlag Philipp von Zabern) 2005. 304 Seiten, 276 überwiegend farbige Abbildungen, inkl. DVD „Münster - Von den Anfängen bis zum Jahr 1200“ (25 Euro im Museumsshop).