Die Stille und ihre Verwandten
25.06.2009
(SMS) "Oft scheint es so, als würde sich das tägliche Leben in einer unentrinnbaren Wolke von Geräuschen abspielen, als würde der städtische Lärm nie aufhören: Der geplagten Seele bleibt als letzte Zuflucht nur die Suche nach Einsamkeit, nach Ruhe und Frieden", schreibt die Leiterin der städtischen Ausstellungshalle zeitgenössische Kunst Münster (AZKM), Dr. Gail Kirkpatrick, zur aktuellen Ausstellung. Die AZKM am Hafen präsentiert bis zum 27. September in der ruhigen Atmosphäre hoch über dem Hafenbecken "Site of Silence".
In der Ausstellung “Der Standort der Stille” unternehmen die sieben Künstler Kris Martin, Stephan US, Suchan Kinoshita, Yehudit Sasportas, Germaine Kruip, Christian Geißler und Andreas K. Schulze auf ihre je eigene Weise den Versuch, die Stille erfahrbar zu machen. Die Arbeiten ermöglichen dem Betrachter, ein breites Spektrum von Erfahrungen mit der Stille im Lärm, im Nichts, in der Kontemplation und sich den Widersprüchen dieses ungreifbaren Phänomens zu nähern: Der Gegensatz macht die Erfahrung erst möglich.
Kris Martin
Kris Martin ist mit vier Arbeiten in der Ausstellung vertreten. 2004 hat er das minimalistische Objekt "100 Years" geschaffen. Eine perfekte Kugel, die das Potenzial hat, den Betrachter in einen meditativen Zustand zu versetzen. Doch bei der weiteren Beschäftigung mit dem kostbaren Objekt stellt sich heraus, dass es sich um eine "scharfe Bombe" handelt, die in ferner Zukunft explodieren wird. (Achtung Kunst! Es handelt sich um ein Kunstobjekt, das völlig ungefährlich ist und schon bei verschiedenen Ausstellungen - auch in den USA - gezeigt wurde.) Aus dem Gefühl der Ruhe wird nervöse Unruhe. Martin gelingt es, eine Erfahrung der Stille zu erzeugen, die an die Ruhe vor dem Sturm erinnert.
Zwei der Arbeiten von Kris Martin sind, obwohl sie ganz unterschiedliche Medien nutzen, beide ein Bildnis einer unendlichen, absoluten Stille. Gleichzeitig lassen sie auf eine sehr eigenwillige Art und Weise die konzeptionelle Hintergründigkeit von Martins Oeuvre aufscheinen: "Spatium" (2009), eine Serie von zwölf Fotografien, und "Bells" (2008), zwei aus Bronze gegossene Glocken. Die Fotografien, die wie Aufnahmen einer Wüstenlandschaft wirken, zeigen die Innenseite eines Schädels, dessen Eigentümer im 13. Jahrhundert Mönch war. Die Glocken hingegen sind an ihren Rändern miteinander verbunden wie siamesische Zwillinge, so dass sie zum Klingeln vollständig ungeeignet sind. Ein weiteres Werk trägt den Titel "Symphonie No O" (2008) – eine kleine, unscheinbare Box, die auf dem Boden steht. Sie enthält jedoch eine Sirene, die ein markerschütterndes Geheul ertönen lässt.
Stefan US
Der in Münster lebende Künstler Stephan US hat ein komplexes Gesamtwerk geschaffen, das sich ausschließlich mit der Möglichkeit beschäftigt, den Zustand des Nichts - eines Verwandten der Stille - zu erleben. "Niemand weiß etwas über das Nichts, aber der natürlich eine ganze Menge." Dieses Zitat des Wittgenstein-Schülers Peter Heath und ähnliche ironische Statements haben US dazu angeregt, Performances und Installationen zu entwickeln, die das Nichts sinnlich erfahrbar machen sollen.
US hat ein großes Archiv angelegt, in dem wissenschaftliche, musikalische und phänomenologische Versuche, den Zustand der "Nichtigkeit" zu definieren, ausführlich dokumentiert sind. In der Ausstellung präsentiert US nicht nur sein Archiv, sondern auch die neue installative Arbeit “united silence“ (2009). In dieser Arbeit experimentiert er mit der Wahrnehmung des gesprochenen Wortes, um zu untersuchen, wie Stille sich anhören kann.
Suchan Kinoshitas
Für "Site of Silence" wurde Suchan Kinoshitas Audio-Installation "passant" (2007) ausgewählt, die einen Extremzustand des Hörens erzeugt. Alle 30 Minuten wird eine Aufnahme einer New Yorker U-Bahn der Expresslinie abgespielt. Ein überwältigender, ohrenbetäubender Lärm füllt den Raum, der jede andere sinnliche Wahrnehmung auslöscht. Wenn das Geräusch des Zuges verstummt, entsteht ein Gefühl absoluter Ruhe.
Yehudit Sasportas
Die Video-Installation "The Clearing of the Unseen" (2009) von Yehudit Sasportas zeigt in hartem Schwarzweiß handgezeichnete Bilder einer Waldlandschaft, die auf sechs Leinwände projiziert werden und so eine Umwelt erschaffen, die zugleich eine intensive, unberührte Schönheit und eine unheimliche, nahezu apokalyptische Feindlichkeit ausstrahlt. Neben den bis ins Detail ausgearbeiteten Konturen von Sümpfen, Flüssen und Seen wirken die unausgearbeiteten schwarzen und weißen Flächen wie Leerstellen, wie Momente des Nichts.
Germaine Kruip
Das Spiel von hell und dunkel, Schatten und physischer Form – das sind die Themen von Germaine Kruips ebenso fragiler wie eindringlicher skulpturaler Installation "Counter Shadow" (2008). In einem aus drei Wänden gebildeten, U-förmigen Raum hängt frei beweglich ein Mobile aus vier geometrischen, aus Aluminium gefertigten Formen, das von einem hellen Tageslicht-Spot angestrahlt wird. Das physische Objekt und sein projizierter Schatten wetteifern um die Aufmerksamkeit des Betrachters. Ein Spiel von Formlosigkeit und form, von Objektivität und Immaterialität wird in Gang gesetzt.
Andreas K. Schulze
Für "Site of Silence" hat sich Andreas K. Schulze mit dem Ausstellungsraum auseinandergesetzt und in einem graublauen Farbton die Formen SHHSHHH... an die Längswand der AZKM gemalt, einen Fries, der die Architektur nachvollzieht und ihre Räumlichkeit betont. Die minimalistischen geometrischen Formen können aber auch als Zeichen für das Geräusch gelesen werden, mit dem man Schweigen einfordert.
Christian Geißler
Christian Geißlers Installation, die aus "Regentropfen" besteht, die von einem Balkon im fünften Stock der AZKM herabfallen, braucht dringend die Stille, um wahrgenommen zu werden. "When it rains…", so der Titel der Soundinstallation, simuliert ein Naturschauspiel und schafft damit einen Ort, an dem man zwischen den Regentropfen auf die Stille warten kann.
- Christian Geißler, geboren 1953 in Münster, lebt in Münster
- Suchan Kinoshita, geboren 1960 in Tokio (Japan), lebt in Maastricht
und Münster
- Germaine Kruip geboren 1970 in Castricum (Niederlande), lebt in
Amsterdam
- Kris Martin, geboren 1972 in Kortrijk (Belgien), lebt in Gent
- Yehudit Sasportas, geboren 1969 in Ashodad (Israel), lebt in Berlin
- Andreas K. Schulze, geboren 1955 in Rheydt, lebt in Köln
- Stephan US, geboren 1966 in Lohne, lebt in Münster
"Site of Silence": 27. Juni bis 27. September. Eröffnung: 26. Juni, 19.30 Uhr. Ausstellungshalle zeitgenössische Kunst Münster, Hafenweg 28 (Speicher II). www.muenster.de/stadt/ausstellungshalle.
Gefördert wird die Ausstellung von der Botschaft der Niederlande
Fotos:
Andreas K. Schulze: SHHHSHHHHSHHH (Dedicated to Miles Davis). Foto: Veröffentlichung mit dieser Pressemitteilung honorarfrei.
Kris Martin: Bells (2008). Foto: Veröffentlichung mit dieser Pressemitteilung honorarfrei.
In der Ausstellung “Der Standort der Stille” unternehmen die sieben Künstler Kris Martin, Stephan US, Suchan Kinoshita, Yehudit Sasportas, Germaine Kruip, Christian Geißler und Andreas K. Schulze auf ihre je eigene Weise den Versuch, die Stille erfahrbar zu machen. Die Arbeiten ermöglichen dem Betrachter, ein breites Spektrum von Erfahrungen mit der Stille im Lärm, im Nichts, in der Kontemplation und sich den Widersprüchen dieses ungreifbaren Phänomens zu nähern: Der Gegensatz macht die Erfahrung erst möglich.
Kris Martin
Kris Martin ist mit vier Arbeiten in der Ausstellung vertreten. 2004 hat er das minimalistische Objekt "100 Years" geschaffen. Eine perfekte Kugel, die das Potenzial hat, den Betrachter in einen meditativen Zustand zu versetzen. Doch bei der weiteren Beschäftigung mit dem kostbaren Objekt stellt sich heraus, dass es sich um eine "scharfe Bombe" handelt, die in ferner Zukunft explodieren wird. (Achtung Kunst! Es handelt sich um ein Kunstobjekt, das völlig ungefährlich ist und schon bei verschiedenen Ausstellungen - auch in den USA - gezeigt wurde.) Aus dem Gefühl der Ruhe wird nervöse Unruhe. Martin gelingt es, eine Erfahrung der Stille zu erzeugen, die an die Ruhe vor dem Sturm erinnert.
Zwei der Arbeiten von Kris Martin sind, obwohl sie ganz unterschiedliche Medien nutzen, beide ein Bildnis einer unendlichen, absoluten Stille. Gleichzeitig lassen sie auf eine sehr eigenwillige Art und Weise die konzeptionelle Hintergründigkeit von Martins Oeuvre aufscheinen: "Spatium" (2009), eine Serie von zwölf Fotografien, und "Bells" (2008), zwei aus Bronze gegossene Glocken. Die Fotografien, die wie Aufnahmen einer Wüstenlandschaft wirken, zeigen die Innenseite eines Schädels, dessen Eigentümer im 13. Jahrhundert Mönch war. Die Glocken hingegen sind an ihren Rändern miteinander verbunden wie siamesische Zwillinge, so dass sie zum Klingeln vollständig ungeeignet sind. Ein weiteres Werk trägt den Titel "Symphonie No O" (2008) – eine kleine, unscheinbare Box, die auf dem Boden steht. Sie enthält jedoch eine Sirene, die ein markerschütterndes Geheul ertönen lässt.
Stefan US
Der in Münster lebende Künstler Stephan US hat ein komplexes Gesamtwerk geschaffen, das sich ausschließlich mit der Möglichkeit beschäftigt, den Zustand des Nichts - eines Verwandten der Stille - zu erleben. "Niemand weiß etwas über das Nichts, aber der natürlich eine ganze Menge." Dieses Zitat des Wittgenstein-Schülers Peter Heath und ähnliche ironische Statements haben US dazu angeregt, Performances und Installationen zu entwickeln, die das Nichts sinnlich erfahrbar machen sollen.
US hat ein großes Archiv angelegt, in dem wissenschaftliche, musikalische und phänomenologische Versuche, den Zustand der "Nichtigkeit" zu definieren, ausführlich dokumentiert sind. In der Ausstellung präsentiert US nicht nur sein Archiv, sondern auch die neue installative Arbeit “united silence“ (2009). In dieser Arbeit experimentiert er mit der Wahrnehmung des gesprochenen Wortes, um zu untersuchen, wie Stille sich anhören kann.
Suchan Kinoshitas
Für "Site of Silence" wurde Suchan Kinoshitas Audio-Installation "passant" (2007) ausgewählt, die einen Extremzustand des Hörens erzeugt. Alle 30 Minuten wird eine Aufnahme einer New Yorker U-Bahn der Expresslinie abgespielt. Ein überwältigender, ohrenbetäubender Lärm füllt den Raum, der jede andere sinnliche Wahrnehmung auslöscht. Wenn das Geräusch des Zuges verstummt, entsteht ein Gefühl absoluter Ruhe.
Yehudit Sasportas
Die Video-Installation "The Clearing of the Unseen" (2009) von Yehudit Sasportas zeigt in hartem Schwarzweiß handgezeichnete Bilder einer Waldlandschaft, die auf sechs Leinwände projiziert werden und so eine Umwelt erschaffen, die zugleich eine intensive, unberührte Schönheit und eine unheimliche, nahezu apokalyptische Feindlichkeit ausstrahlt. Neben den bis ins Detail ausgearbeiteten Konturen von Sümpfen, Flüssen und Seen wirken die unausgearbeiteten schwarzen und weißen Flächen wie Leerstellen, wie Momente des Nichts.
Germaine Kruip
Das Spiel von hell und dunkel, Schatten und physischer Form – das sind die Themen von Germaine Kruips ebenso fragiler wie eindringlicher skulpturaler Installation "Counter Shadow" (2008). In einem aus drei Wänden gebildeten, U-förmigen Raum hängt frei beweglich ein Mobile aus vier geometrischen, aus Aluminium gefertigten Formen, das von einem hellen Tageslicht-Spot angestrahlt wird. Das physische Objekt und sein projizierter Schatten wetteifern um die Aufmerksamkeit des Betrachters. Ein Spiel von Formlosigkeit und form, von Objektivität und Immaterialität wird in Gang gesetzt.
Andreas K. Schulze
Für "Site of Silence" hat sich Andreas K. Schulze mit dem Ausstellungsraum auseinandergesetzt und in einem graublauen Farbton die Formen SHHSHHH... an die Längswand der AZKM gemalt, einen Fries, der die Architektur nachvollzieht und ihre Räumlichkeit betont. Die minimalistischen geometrischen Formen können aber auch als Zeichen für das Geräusch gelesen werden, mit dem man Schweigen einfordert.
Christian Geißler
Christian Geißlers Installation, die aus "Regentropfen" besteht, die von einem Balkon im fünften Stock der AZKM herabfallen, braucht dringend die Stille, um wahrgenommen zu werden. "When it rains…", so der Titel der Soundinstallation, simuliert ein Naturschauspiel und schafft damit einen Ort, an dem man zwischen den Regentropfen auf die Stille warten kann.
- Christian Geißler, geboren 1953 in Münster, lebt in Münster
- Suchan Kinoshita, geboren 1960 in Tokio (Japan), lebt in Maastricht
und Münster
- Germaine Kruip geboren 1970 in Castricum (Niederlande), lebt in
Amsterdam
- Kris Martin, geboren 1972 in Kortrijk (Belgien), lebt in Gent
- Yehudit Sasportas, geboren 1969 in Ashodad (Israel), lebt in Berlin
- Andreas K. Schulze, geboren 1955 in Rheydt, lebt in Köln
- Stephan US, geboren 1966 in Lohne, lebt in Münster
"Site of Silence": 27. Juni bis 27. September. Eröffnung: 26. Juni, 19.30 Uhr. Ausstellungshalle zeitgenössische Kunst Münster, Hafenweg 28 (Speicher II). www.muenster.de/stadt/ausstellungshalle.
Gefördert wird die Ausstellung von der Botschaft der Niederlande
Fotos:
Andreas K. Schulze: SHHHSHHHHSHHH (Dedicated to Miles Davis). Foto: Veröffentlichung mit dieser Pressemitteilung honorarfrei.
Kris Martin: Bells (2008). Foto: Veröffentlichung mit dieser Pressemitteilung honorarfrei.