Hittorf-Gymnasium: Schulgeschichte als Spiegel der Zeitgeschichte

24.08.2005

Stadtarchiv legt Studie von Dr. Heinz-Ulrich Eggert in der Reihe "Quellen und Forschungen" vor

Münster (SMS) Schulgeschichte als Spiegel der Zeitgeschichte: Diesen Aspekt der Schulwirklichkeit zeigt beispielhaft eine Untersuchung von Dr. Heinz-Ulrich Eggert zur Entwicklung von zwei Oberschulen in Münster. Die erste wurde 1938 unter den Bedingungen der NS-Herrschaft gegründet und ist 1945 untergegangen. Nach Kriegsende folgte 1946 eine Neugründung, aus der sich später das heutige Wilhelm-Hittorf-Gymnasium entwickelte. Der Autor, selbst Studiendirektor am Hittorf-Gymnasium, hat dazu eine aufschlussreiche, detaillierte Arbeit vorgelegt. Sie ist unter dem Titel "Schul-Zeit 1938 bis 1949. Zur Vorgeschichte des Wilhelm-Hittorf-Gymnasiums Münster im NS-Staat und in der Nachkriegszeit" im Aschendorff-Verlag erschienen (528 Seiten, 39 Abbildungen, 67 Euro).

Heinz-Ulrich Eggert stellt auf der mikrohistorischen Ebene die Geschichte zweier münsterscher Oberschulen dar. Er hat die miteinander verknüpfte Geschichte dieser Schulen - einer Schule des NS-Regimes und des totalen Krieges sowie einer Schule der Besatzungszeit und des demokratischen Neubeginns - so aufgearbeitet, dass die jeweilige Schulwirklichkeit in vielen Einzelheiten sichtbar wird. Fallstudien, insbesondere zu Lehrkräften und Schülern, ermöglichen den Blick auf das Profil der beiden Schulen in ihrer Zeit.

Damit zeigt die Publikation den Schulalltag an der Wasserturmschule und im Nachkriegsprovisorium in Sendenhorst in allen wesentlichen Facetten. Sie ist eine wichtige Ergänzung zu den vorhandenen historischen Forschungen zur Schulgeschichte und zur Kriegs- und Nachkriegsgeschichte in Münster und darüber hinaus - womit es für für das Stadtarchiv Münster nahe lag, die Untersuchung als Band 22 in seine Reihe "Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster" aufzunehmen.

Was der NS-Staat von "seinem" Gymnasium erwartete

Die am 10. Juni 1938 eröffnete Oberschule für Jungen am Wasserturm war die erste und einzige Neugründung eines Gymnasiums in Münster durch die Nationalsozialisten. Die Eröffnungsfeier nutzten die Nationalsozialisten, insbesondere Oberbürgermeister Hillebrand, um unmissverständlich die Erwartungen der Partei deutlich zu machen. Er forderte von Kollegium und Schulleitung uneingeschränkte Loyalität zum nationalsozialistischen Staat und die Bereitschaft zur Mitarbeit an der Neugestaltung des Schulwesens.

Keine sieben Jahre hatte diese Schule Bestand, und höchstens das erste Jahr kann als "Normaljahr" bezeichnet werden. Dann griffen die Erfordernisse der Kriegsmaschinerie rücksichtslos in den Schulalltag ein. Immer kleiner wurden die Klassen. Immer mehr Jungen wurden der Schule entzogen - als Soldaten, als Flakhelfer in Geschützstellungen in der Umgebung, vom Reichsarbeitsdienst, der HJ oder der Kinderlandverschickung für Jungen von zehn bis 14 Jahren. An geregelten Schulbetrieb war seit Kriegsbeginn auch deshalb nicht mehr zu denken, weil Lehrer zum Militärdienst eingezogen wurden (oder sich freiwillig meldeten) und mit fortschreitendem Kriegsverlauf die Bombenangriffe einen Schulalltag unmöglich machten.

Bombenangriff und "Auffangschule" in Sendenhorst

Mit einem Trick versuchte man im Sommer 1940 Bombenabwürfe auf die Schule zu verhindern. Der an das Schulgelände angrenzende Wasserturm erhielt einen provisorischen Anbau. Hölzerne Pfosten, mit grauem Sackleinen bespannt, sollten den alliierten Piloten den Einruck vermitteln, dass es sich bei dem gesamten Komplex um eine Kirche handelte.

Wahrscheinlich hofften die Initiatoren, dass die Bomberpiloten sowohl den Wasserturm als auch die als "Barackenlager" besonders gefährdeten Holzhäuser der Wasserturmschule verschonen würden. Aber am 22. Januar 1942, abends um 22 Uhr, wurde die Schule erstmals direkt getroffen. Den Schlussstrich unter die kurze Geschichte der Oberschule für Jungen am Wasserturm zog ein Bombenangriff am 12. September 1944, als kurz nach 18 Uhr alle Holzhäuser der Schule bis auf die Fundamente abbrannten.

Eine Art Auffangschule bildete die "Kriegs-Oberschule" in Sendenhorst, in der es nach dem Ende des Krieges zu einem zögerlichen und mit allen Schwierigkeiten der re-education verbundenen Neuanfang kam. Im Gegensatz zu anderen Auffangschulen verschwand diese während der Kriegszeit improvisierte Schule mit dem Einmarsch der alliierten Truppen nicht in der Trümmermasse des NS-Staates. Sie blieb Schule im Wartestand, auf die sich die Hoffnungen von Eltern und Schülern für die Zeit nach dem Ende des Unterrichtsverbots richteten.

Schließlich wurde die Sendenhorster Ausweichschule sogar zur ersten münsterschen Oberschule, die nach dem Krieg den Unterrichtsbetrieb aufnahm. Am 18. Januar 1946 fand die feierliche Eröffnung der "Münsterschen Ausweich-Oberschule für Jungen und Mädchen" in Sendenhorst statt und damit das Ende der "längsten Ferien", die die Schülerinnen und Schüler je gehabt hatten.

Nach 22 Jahren zurück an den Wasserturm

Mehr als drei Jahre hatte die neue koedukative Schule Bestand, bevor es zurück in die Stadt ging. Erste Unterkunft bot hier die Johannis-Schule an der Vogel-von-Falkenstein-Straße. Mit Beginn des Schuljahres 1949/50 normalisierte sich das Schulleben. Im Dezember benannte der Rat die Schule nach dem münsterschen Physiker Wilhelm Hittorf. 1960 konnte schließlich ein eigener Neubau beim Wasserturm bezogen werden. Damit war die Schule nach mehr als 22 Jahren einer in sich zerrissenen Schulgeschichte mit immer neuen Provisorien im Schatten von Nationalsozialismus, Krieg und Nachkriegszeit wieder am Wasserturm angelangt.

Der Autor Dr. Heinz-Ulrich Eggert ist Studiendirektor am Wilhelm-Hittorf-Gymnasium, wo er seit 1977 unterrichtet. Von Beginn an hat er sich als Tutor beim Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten mit großem Erfolg engagiert. Mehrfach gewann er mit seinen Schülerinnen und Schülern den Preis des Bundespräsidenten für die bundesweit erfolgreichste teilnehmende Schule. Seit 1993 hat er einen Lehrauftrag an der Westfälischen Wilhelms-Universität. 2004 erhielt er den Freya-Stephan-Kühn-Preis des Landesverbandes nordrhein-westfälischer Geschichtslehrer für besondere Verdienste um die Vermittlung von Geschichte.

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