Historikerpreis der Stadt Münster an Reinhart Koselleck
Durch seine grundlegenden Studien zur Begriffsgeschichte und zur historischen Semantik habe Koselleck "seine Zeitgenossen für die geschichtliche Bedingtheit und die Instrumentalisierbarkeit von politischer Sprache sensibilisiert", begründete die Jury unter Vorsitz von Oberbürgermeister Dr. Berthold Tillmann ihre Wahl. Die Auszeichnung ist mit 12 500 Euro dotiert und wird am 18. Juli 2003 im historischen Rathaus zu Münster überreicht. Studien zur "Sattelzeit"
Die sechste Verleihung des Historikerpreises steht - als erste im neuen Jahrhundert - im Zusammenhang mit der Erinnerung an den Epochenwandel um 1800 und den europaweiten Aufbruch in die Moderne. "Mit seinen frühen Werken (‚Kritik und Krise‘, 1959, und ‚Preußen zwischen Reform und Revolution‘, 1967) hat Koselleck die Interpretation dieser ‚Sattelzeit‘ nachhaltig geprägt", heißt es im Juryentscheid.
"Reinhart Koselleck stellt in seinen Werken Fragen zu den umwälzenden Veränderungen Europas im 18. und 19. Jahrhundert. Als europaoffene Stadt und Bewerberin um den Rang einer ‚Kulturhauptstadt‘ freuen wir uns auf einen Preisträger, dessen wissenschaftliches Interesse historischen Vorgängen gewidmet ist, die für unsere Stadt und die westfälische Region bis heute wirksam sind", so Oberbürgermeister Dr. Berthold Tillmann. Münster sei sich als kulturell innovative Stadt und als Stadt des Westfälischen Friedens ihrer historischen Dimension bewusst.
Kosellecks Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind die Historik sowie die Begriffs- und Sprachgeschichte, aber auch die Ikonologie, anthropologische Grundlagen der Geschichte, Sozial-, Rechts- und Verwaltungsgeschichte. Er arbeitet insbesondere zur Theorie der Geschichte - nicht nur ausgewiesen durch das von ihm initiierte epochale Lexikon der "Geschichtlichen Grundbegriffe". Nach jahrzehntelanger Arbeit fand dieses wissenschaftliche Großprojekt zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland 1997 seinen Abschluss.
Forschungen zum Denkmalskult
Seit vielen Jahren befasst sich der 79-jährige Historiker mit der Bildersprache des öffentlichen Gedenkens an den Tod. Koselleck habe "zu einem tieferen Verständnis der Bilder als Zeugnissen der Geschichte beigetragen", würdigen die Juroren wichtige Studien des Forschers zum Denkmalskult, darunter die Arbeit "Der politische Totenkult. Kriegerdenkmäler in der Moderne", 1994).
"Quergänger in seinem Fach"
Der Historiker Rudolf Vierhaus hat Koselleck einmal bezeichnet als einen "keiner historischen Schule zuzurechnender Außenseiter". Vielmehr sei er ein "Einzel- und Quergänger in seinem Fach, der dennoch mitten in der Sache dieses Faches steht". Koselleck agiert weit über seine Disziplin hinaus. Er geht fächerübergreifend vor und vermittelt historische Inhalte in sprachlicher Anschaulichkeit auf breiter Ebene. Die Jury in Münster: "Als Autor hat Koselleck entscheidenden Anteil an einer neuen Begründung der Geisteswissenschaften, von der Literaturwissenschaft bis zur Philosophie. Als streitbarer Bürger hat er sich durch engagierte Wortmeldungen in die Tradition politischer Aufklärung gestellt".
Reinhard Koselleck, am 23. April in 1923 in Görlitz geboren, wurde für sein Werk im In- und Ausland vielfach ausgezeichnet. 1989 erhielt er den Preis des Historischen Kollegs, 1999 würdigte ihn die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung mit dem Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa.
Die Stadt Münster vergab den Historikerpreis - gestiftet 1978 zum 330. Jahrestag des Westfälischen Friedens - erstmals 1981 - damals an Gordon A. Craig (USA). Die weiteren Preisträger: Thomas Nipperdey (1984), Hans-Peter Schwarz (1988), Jacques Le Goff (1993) und Konrad Repgen (1998).
Foto: Historikerpreis der Stadt Münster für Reinhart Koselleck.