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Schuldenbremse, Runde 1
Der Bundestag hat heute die Selbstkastration der Politik beschlossen und damit die wirtschaftspolitische Neutralität der Verfassung dem Zeitgeist geopfert.
Von Richard Bercanay
Was der Unterschied zwischen Sonntagsreden und Tagespolitik ist tritt am heutigen Tag besonders dramatisch zum Vorschein. In mahnender Nachdenklichkeit appellierte in einer feierlichen Rederunde im Bundestag am 14. Mai 2009 zum Verfassungsjubiläum der FDP-Abgeordnete Florian Toncar:
»Diejenigen, die laufend neue Vorschläge machen, was noch hineingeschrieben werden könnte oder möglicherweise fehlt, müssen sich die Frage stellen lassen, ob man die Autorität des Grundgesetzes nicht eher dadurch beschädigt, dass man ständig den Eindruck erweckt, es sei unvollständig, lückenhaft und verbesserungsbedürftig. Das ist nicht so, und das sollte man auch nicht ständig so darstellen.« (Protokoll der 222. Sitzung des Deutschen Bundestages, Seite 24331)
Franz Müntefering, der Vorsitzende der SPD, griff diese Bemerkung auf und fügte hinzu:
»Etwas, was mir an der Rede des Kollegen Toncar gut gefallen hat, war der Hinweis - so habe ich ihn verstanden -, dass unsere permanente Debatte darüber, was im Grundgesetz verändert, korrigiert oder erweitert werden müsste, nicht dazu führen darf, dass wir in die Gefahr kommen, das Grundgesetz gleich um eine Gebrauchsanweisung zu erweitern. Bei all dem, was wir machen, müssen wir immer die Frage stellen: Ist das nötig, ist das unabdingbar? Das Grundgesetz muss mehr sein - und etwas anders - als das, was in Gebrauchsanweisungen üblicherweise steht.« (ebd., S. 24333)
In der Tat, möchte man sagen, aber welche Schlußfolgerungen ziehen die Abgeordneten aus diesen Mahnungen? Am heutigen Tage jedenfalls wurde mal wieder ausgiebig eine vermeintliche Lücke des Grundgesetzes geschlossen: Im Deutschen Bundestag fand der Antrag zur Änderung mehrer Grundgesetzartikel zur Installation einer sogenannten »Schuldenbremse« eine breite Mehrheit. Wenn das Protokoll mit der namentlichen Abstimmung nächste Woche über die Homepage des Bundestages herunterzuladen ist, werden wir nachlesen können, wie sich die Herren Toncar und Müntefering bei diesen Abstimmungen verhalten haben.
Mit der »Schuldenbremse« wird die wirtschaftspolitische Neutralität der Verfassung aufgegeben und ein Instrument neoliberaler Wirtschaftspolitik festgeschrieben. Die FDP hatte schon vor Jahren gefordert, eine Regel wie das sogenannte »Maastricht-Kriterium« auch in die deutsche Verfassung zu schreiben. Diese Forderung hat der Bundestag heute erfüllt: Der Bund wird ab 2016 Schulden nur noch in Höhe von 0.35% des Bruttoinlandsproduktes aufnehmen dürfen, die Bundesländer werden sich ab 2020 gar nicht mehr verschulden dürfen. Das bedeutet, daß bei klammen Kassen entweder Steuern erhöht oder Leistungen gestrichen werden müssen. Und welche Steuern zur Erhöhung in Betracht kommen hat ja bereits der Chef des deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Zimmermann, angedeutet: Natürlich die Mehrwertsteuer, die vor allem Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen trifft.
Die »Schuldenbremse« ist eine Bedrohung für die Demokratie: Sie legt künftige Regierungen auf eine bestimmte Wirtschaftspolitik fest. Damit schränkt sie die Möglichkeiten politischer Entscheidungen weiter ein und sorgt dafür, daß bestimmte politische Alternativen und Politikentwürfe verfassungskonform gar nicht mehr umsetzbar sind. Dies wiederum beschränkt den Wettbewerb um politische Ideen und wird zu mehr Politikverdrossenheit führen. Die Legitimität von Politik ist bedroht, wenn den Menschen immer weniger Alternativen zur Wahl stehen und es immer weniger Bereiche gibt, in denen Dinge politisch entschieden werden können.
Die kommenden Generationen werden zudem durch die »Schuldenbremse« nicht nur in ihren politischen Gestaltungsmöglichkeiten beeinträchtigt, sie werden als Ergebnis dieser Einrichtung marode Schulen, Unis und Infrastruktur und mangelhafte Bildung erben. Denn durch die Beschränkungen insbesondere für die Länder werden diese Leistungen einstellen und schließlich auch bei der Bildung und den Infrastrukturmaßnahmen sparen müssen.
Vielleicht ist es einfach ein Menetekel, daß die Verfassung der Bundesrepublik nunmehr gerade am Jahrestag der Verfassung der DDR in den Dienst neoliberaler Wirtschaftspolitik gestellt werden soll. Der Deutsche Bundestag hat zugestimmt, nun liegt es am Bundesrat zu verhindern, daß künftige Generationen von Politikern eingezwängt werden in einen politischen Zeitgeist, der die Inflationsbekämpfung und die Haushaltsdisziplin über alle anderen gesellschaftlichen Ziele stellt. In einem Kommentar für die Süddeutsche Zeitung kritisierte Heribert Prantl, daß Tagespolitik in der Verfassung nichts zu suchen hätte. Es wäre zu wünschen, daß sich diese Erkenntnis zumindest im Bundesrat durchsetzt.
Richard Bercanay, 29. Mai 2009
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